Geburtstag unterm Hakenkreuz

■ Hitler-Geburtstag soll zum Kristallisationspunkt einer europaweiten Neonazi-Bewegung werden

Bereits vor fünf Jahren gründeten Neonazis aus unterschiedlichen europäischen Ländern in Spanien ein „Komitee Adolf Hitler“ zur Vorbereitung des 100. Geburtstages ihres „Führers“ am 20.April dieses Jahres. Die Vorbereitungen sind weit gediehen, das Datum wird zum Testfall für die organisatorische Schlagkraft der neonazistischen „Europäischen Bewegung“. Unter Beweis gestellt werden soll der Neonazi-Aufschwung in Berlin, Spanien, Dänemark und eventuell Belgien. Bundesdeutscher Organisator ist der einschlägig vorbestrafte Michael Kühnen.

In den Kalendern der internationalen rechtsextremen und neonazistischen Szene ist der 20. April 1989 dick rot angestrichen. Nicht mehr länger soll es bei heimlichen Feiern in Hinterzimmern von Gastwirtschaften bleiben, nicht länger bei kleinen Aufzügen und militanten Einzelaktionen. In internationalem Maßstab wollen alte und neue Nazis den 100. Geburtstag von Adolf Hitler gebührend feiern und ihre „nationalsozialistische Treue“ demonstrieren. Der Führergeburtstag soll zur Geburtsstunde und zugleich zum Testfall einer einheitlichen europäischen nationalsozialistischen Bewegung werden.

Schon mehr als fünf Jahre vor dem Termin wurde die europaweite Mobilmachung eingeläutet. Nachdem im Dezember 1983 das Bundesinnenministerium die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) verboten hatte, hob deren „Organisationsleiter“ Michael Kühnen (33) „Die Bewegung“ aus der Taufe. Ehemalige ANS/NA-Mitglieder und Mitglieder der „Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) fanden dort ihre Heimat und gaben die Zeitschrift 'Die Neue Front‘ heraus. „Die Bewegung“ verstand sich als Teil einer „Europäischen Bewegung“, einer, so Kühnen, „gesamteuropäischen nationalsozialistischen Allianz im Geiste der SA“.

Ende Mai 1984 trafen sich in einer Pizzeria in Madrid die bundesdeutschen Neofaschisten Michael Kühnen, Thomas Brehl, der Franzose Michel Caignet (35) und der in Spanien lebende Leon Degrelle (82), um das „Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers“ (KAH) zu gründen. Degrelle führte unter Hitler die belgische SS -Freiwilligenlegion „Wallonie“ und wurde nach 1945 in Abwesenheit in Belgien zum Tode verurteilt. Der an der Costa del Sol lebende ehemalige SS-General wurde zum Ehrenpräsidenten des Komitees gekürt. Auch in der Bundesrepublik gründete sich alsbald ein KAH, das personell und organisatorisch mit der „Bewegung“ eng verflochten ist. Schon allein die Zusammensetzung der Führungsmitglieder Sektionsleiter West: Jürgen Mosler (FAP), Sektion Nord: Thomas Wulff, genannt Steiner (FAP), Sektion Mitte: Peter Müller (ANS-Führer Frankfurt), Sektion Süd: Michael Swierczek (ehem. Vorsitzender der Jungen Nationaldemokraten) - gibt ein Bild der Vernetzung der neonazistischen Organisationen. Dazu stießen Mitglieder der „Nationalistischen Front“ und der „Wiking-Jugend“.

In der Folgezeit wurde das KAH in verschiedenen Bundesländern zu einer elitären Kaderformation ausgebaut, mit Hilfe derer die Führungsstrukturen der verbotenen ANS/NA fortgeführt werden konnten. Aus dem Programm der KAH geht hervor, daß die Bewegung zwar „über verschiedene Organisationen und Parteien verfügt“, jedoch „Qualität vor Quantität“ gehe.

Dementsprechend streng sind die Aufnahmerituale ins KAH. Erst nach einer Probezeit wird ein sogenannter Sympathisant von den Anführern zum einfachen Mitglied ernannt. Dann erst erhält er das sogenannte „Führerstammbuch“. Seit 1986 gibt das KAH verschiedene „Dienstanweisungen“ für eine „straff und diszipliniert“ geführte politische Arbeit heraus. Demnach ist die interne Hierarchie in Dienstgraden vom „Gausekretär“ bis zum „Stützpunktleiter“ und „Aktivisten“ exakt festgelegt. Der Vorgesetzte hat unbeschränkte Befehls und Strafgewalt. Für Aussteiger oder Verräter kennt man „nur eine Strafe, die man aus rechtlichen Gründen hier nicht nennen kann. Sicherlich wird aber ein jeder ahnen, was damit gemeint ist.“

Neben Degrelle sorgte auf internationaler Ebene Walter Mathaei („Capitan Walter“) für die nötigen Kontakte insbesondere zu spanischen Faschisten. Mathaei, ehemaliger Hauptmann im Reichssicherheitshauptamt, war nach dem Krieg Reichsjugendführer der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei und Mitbegründer der Wiking-Jugend. 1987 kam er nach einem 30jährigen Aufenthalt in Spanien wieder in die Bundesrepublik zurück und schloß sich der FAP an. Walter stellte den Kontakt der bundesdeutschen Neonazis zur in Barcelona ansässigen militanten „Cedade“ (Circulo de amigos de Europa) her. Nach Schätzungen soll die Cedade über 3.000 militärisch trainierte Mitglieder verfügen.

Beim ersten Treffen in Madrid erzielte man Einigkeit über ein gemeinsames Vorgehen. Viersprachige Plakate (deutsch, englisch, französisch und spanisch) sollten auf die bevorstehenden Feierlichkeiten hinweisen. Von Anfang an waren in dieses internationale Netz neben der Cedade auch die belgische Rex Nationale, aus Frankreich die Faisceux Nationalistes Europeen (FNE) und später die Parti Nationalist Fran?ais et Europeen (PNFE), aus Irland die National Socialist Irish Workers Party (NSIWP), aus Großbritannien die National Socialist Party United Kingdom (NSPUK) sowie die ANS-Auslandsorganisationen in den Niederlanden und im flämischen Teil Belgiens eingebunden. Aus Österreich sind inzwischen Aktivisten der Ausländer-Halt -Bewegung um den wegen Sprengstoffanschlägen auf jüdische Geschäftshäuser verurteilten Wiener Neonazi Gottfried Küssel mit von der Partie. Später kam aus Norwegen die Nasjonalt Folkeparti, aus Flandern die Gruppe Weerstand und einige enttäuschte, ehemalige Aktivisten des belgischen Vlaamse Militanten Orden mit dazu.

Kühnen griff dabei auf bereits bestehende Kontakte zurück und baute sie im Sinne einer neonazistischen „Europäischen Bewegung“ als „politische Vorhut auf dem Marsch ins IV. Reich“ aus. Schon 1984 hatten zum Beispiel englische und irische Neonazis von der NSIWP und NSPUK zusammen mit NSDAP -Ablegern in der Bundesrepublik die deutschsprachige Zeitschrift 'NS-Sturm‘ herausgegeben und in der BRD verbreitet. Bei Aktivisten der französischen FNE fand Kühnen während seiner Flucht von März 1984 bis zu seiner Abschiebung im Oktober 1984 in Paris und Chessy (Department Seine-et-Marne) Unterschlupf. Die Adresse der FNE -Publikation 'Notre Europa‘ firmierte als Kontaktanschrift für Kühnens „Rundbriefe“ aus dem Gefängnis. Michael Caignet übernahm während Kühnens Inhaftierung die Fortführung der Aufbauarbeit für eine internationale ANS. Über Gary Lauck, dem Chef der NSDAP/AO der USA, wurde 'Die Neue Zeit‘, Zeitung der ANS/Auslandsorganisation, verbreitet. In sogenannten „Europäischen Führerthings“ wurden schließlich diese Kontakte regelmäßig vertieft. Ende August 1985 in Paris, im März 1986 in London, im März 1987 in Oberbayern und schließlich im September 1987 in Dänemark fanden derartige internationale Treffen statt.

Eine Spaltung der „Bewegung“ in zwei rivalisierende Lager Mitte 1986 brachte die KAH-Aktivitäten nahezu zum Erliegen. Doch der Konflikt konnte innerhalb eines knappen Jahres beigelegt werden.

Nach seiner Haftentlassung im Frühjahr 1988 begann Kühnen eine rege Reisetätigkeit im In- und Ausland, um die eigenen Reihen zu schließen und seinem Ziel einer europaweiten Vernetzung unter dem Dach der KAH näherzukommen. Im Oktober vermeldet er in der 'Neuen Front‘ ein Wiederaufleben der „Europäischen Bewegung“. Vorher hatte eine Kühnen-Delegation im August 1988 mit der Cedade in Almeria (Andalusien) konferiert. Am 12. Dezember 1988 wurden die Gespräche mit Cedade-Chef Pedro Varela in München fortgesetzt.

Rechtzeitig zum Führergeburtstag begruben am 8. Januar dieses Jahes schließlich die beiden verfeindeten Flügel ihre zweieinhalbjährige Fehde. Jeweils fünf Spitzenfunktionäre des Kühnen-Flügels (Kühnen, Brehl, Worch, Matthaei, Malcoci) und des Mosler-Flügels (Mosler, Heidel, Busse, Wulff, Swierczek) erklärten, in Zukunft „gegenseitig auf Angriffe auf die politische Integrität und/oder die persönliche Ehre aller anderen Unterzeichner zu verzichten“. Damit ist die Schlagkraft der „Bewegung“ für das Adolf-Hitler-Jahr gesichert.

Bernd Siegler