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Ungarns Reformer kennen kein Tabu

Mit der Gründung einer neuen KP gedroht / Veränderungen sollen, so die Reformer, schneller greifen / Weitere Regierungsumbildung am 10. Mai nach außerordentlicher Parlamentssitzung  ■  Von Roland Hofwiler

Berlin (taz) - Rund 600 Funktionäre der Ungarischen Vereinten Arbeiterpartei (USAP) drohten am Wochenende auf dem ersten Nationalen Forum der Reformer in der südungarischen Provinzstadt Kesckemet mit der Gründung einer Konkurrenz-KP. Regierung und Parteiführung seien „von Inkompetenz und übertriebener Vorsicht geprägt“ und damit ein Hemmschuh für radikale Reformen in Ungarn, begründeten sie ihre Androhung einer Spaltung der herrschenden Kommunistischen Partei. Dem Treffen wohnten fünf der neun derzeitigen Politbüromitglieder bei. Das Politbüro ist das höchste Entscheidungsgremium der USAP, und obwohl erst am vergangenen Mittwoch vier Reformgegner, allen voran der bisherige Parteiideologe Janos Berecz ihre Positionen verloren, pochen die Minister Imre Pozsgay und Rezsoe Nyers auf noch weitreichendere Veränderungen in der Partei.

Innerhalb der letzten 18 Monate hat die KP rund 100.000 Mitglieder verloren, während gleichzeitig neue Organisationen und Gruppierungen wie Pilze aus dem Boden schossen. Heute zählt die herrschende Partei noch 780.000 eingeschriebene Mitglieder. Selbst der derzeit wohl populärste Politiker Ungarns, Pozsgay, schließt eine Spaltung der KP nicht mehr aus, allerdings werde er nach eigenen Worten nicht derjenige sein, der einen solchen Schritt einleiten werde. Er und seine Anhänger hoffen noch immer, daß die Dogmatiker der Partei dem Druck der Parteibasis nachgeben und freiwillig ihre Ämter räumen werden. Allerdings wurden in Kesckemet auch Stimmen laut, die Pozsgay ein zu langsames Taktieren vorwarfen und die sofortige KP-Neugründung forderten. Vorerst blieben diese Genossen aber noch in der Minderheit. Unterdessen kündigte Ministerpräsident Miklos Nemeth am Wochenende eine außerordentliche Parlamentssitzung für den 10. Mai an, bei der eine weitgreifende Regierungsumbildung beschlossen werden soll.

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