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Theater vom AllerFeinsten

■ Günter Krämer hat alles drangesetzt, uns seinen Abschied vom Bremer Theater schwer zu machen: Sein letztes Stück, „Seid nett zu Mr. Sloane“, ein bitterböses-ironisches Stück um sexuelle Obsessionen

Ich habe mich verliebt. - In Kathrin, das vorstellbar unerotischste weibliche Wesen. Lange, fettige, in Strähnen herunterfallende Haare, Brille mit Gläsern so dick wie Colaflaschen-Böden, die Stimme hysterisch-schrill, obszön. Sie trägt Filzpantoffeln, linkischer Gang, hängende Schultern. Ihr Kleid verdient diesen Begriff nicht, eine Mischung aus Kittel, Morgenmantel und Übriggebliebenem

der letzten Altkleidersammlung. Kathrin fordert ihren Bruder Ed und den Vater Kemp auf: „Seid nett zu Mr. Sloane“.

Joe Ortons bitterbös-komisches Stück aus dem englischen Mittelstandsmilieu der frühen 60er wurde geradezu zu einem Triumph für die Darstellerin der Kathrin: Traute Hoess. Ihre Darstellung einer Frau um die vierzig, voller Lebensgier, gefangen von gesellschaftlichen, morali

schen und familiären Konventionen kann glaubhafter nicht sein. Nie sah ich sie sicherer agieren, voller Spiellaune und Witz. Sie sitzt in ihrem vor Bürgerlichkeit strotzenden Zuhause, strickt, besorgt sich und ihrem Vater den Haushalt, leidet an Vergangenheit und Gegenwart, wartet auf den Erlöser. Dieser erscheint in Form des jungen, feschen Mr. Sloane, der sich durch das Leben mehr schläft als schlägt.

Nach anfänglicher Zurückhaltung, gespielter Zier, erliegt sie dann bald seinen sexuellen Obsessionen. Ihrem Bruder Ed, großartig gespielt von Herbert Knaup, geht es nicht anders. Gemeinsam benutzt das Geschwisterpaar Mr. Sloane zu erotischen Dienstleistungen. Die Macht des Sexus bleibt siegreich über die beiden, als Sloane ihren Vater erschlägt, von ihm als Mörder seines ehemaligen Chefs erkannt.

Ortons Werk ist die rebellierende Auflehnung gegen eine Gesellschaft, deren Tabus erwachsene Menschen dazu zwingen, ihre sexuellen Vergnügungen in verborgenen Ecken zu suchen. Orton saß, weil er zusammen mit

einem Freund Bilder dicker, nackter Damen in Frauenromane einer Leihbibliothek geklebt hatte, ein halbes Jahr im Gefängnis, das „alles herauskristallisiert hat“. „Vor meiner Gefängniszeit war mir vage bewußt, daß irgendwo etwas faul sein mußte. Die alte Hure Gesellschaft hat tatsächlich ihre Röcke hochgehoben und der Gestank war ganz schön faulig.“ Orton benutzt in seinem Stück nicht den erhobenen Zeigefinger oder klagt lamentierend an. Sein Stilmittel ist tiefschwarzer Humor. Das Lachen bleibt einem nur allzu oft im Hals stecken. „Wie der Humor den Sex realer machen sollte, sollte er auch den Mord Sloanes an Kemp realer machen. Man bringe ohne ein Lä

cheln einen Mord auf die Bühne und man hat nur einen Krimi und keiner nimmt es ernst. Bringt man es lustig, zwingt man die Leute darüber nachzudenken.“

Ein geniales Stück in einer kongenialen Inszenierung. Günter Krämer hat alles darangesetzt, uns seinen Abschied vom Bremer Schauspiel sehr schwer zu machen. Seine Arbeit als Regisseur läßt sich in einem Satz würdigen: Ich habe sie nicht bemerkt. Wie von selbst schien alles zu laufen, es wurde nicht gespielt, es wurde gelebt. Unauffällig gut, auf den Punkt passend, liebevoll ausgestattet die Drei-Ebenen -Bühne, perfektes Licht. Theater vom Feinsten ... Jörg Oberheid

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