piwik no script img

„Friedlichere Autonome, kämpferischere Liberale

■ Reformautonome, Antiimps und Liberale diskutierten erstmals öffentlich über den RAF-Hungerstreik / Auch der neue Abteilungsleiter für den Strafvollzug im Justizsenat, Christoph Flügge, stellte sich der Diskussion / Klaus Jünschke berichtete über seine Haftbedingungen

Die Podiumsdiskussion „Staatsgewalt contra Menschenwürde?“ am Sonntag abend in der Kreuzberger Passionskirche war eine kleine Sensation. Erstmals diskutierten Linksradikale und Liberale, Kirchenleute und ein Verantwortlicher des Justizsenats öffentlich und gemeinsam über den Hungerstreik der RAF-Gefangenen, die Forderung nach Zusammenlegung, aber auch ganz generell über humanen Strafvollzug.

Lea Rosh moderierte, auf dem Podium debattierten Superintendent Lothar Wittkopf, der ehemalige RAFler und im letzten Sommer begnadigte Klaus Jünschke, der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Strafverteidiger Hajo Ehrig und Christoph Flügge, seit gestern, zunächst provisorisch, Abteilungsleiter beim Justizsenat und dort zuständig für den Strafvollzug. Aus dem Publikum heraus beteiligten sich Reform-Autonome, Anti-Imps und andere Hungerstreik -Unterstützer-Gruppen, aber auch Richter und Pfarrer.

Auch wenn die Form der Diskussion, Podium und Publikum das Gespräch, den Dialog behinderten, war es ein Anfang, getragen von der Erleichterung, daß die Zuspitzung der Lage durch die Freitag bekanntgewordene Unterbrechung des Hungerstreiks von Karl-Heinz Dellwo und Christa Eckes wieder politische Verhandlungsräume eröffnet hat. Ausführlich berichtete Klaus Jünschke von seinen Hafterfahrungen, von der jahrelangen Isolation, machte aber auch deutlich, daß „Isolation nach wie vor generell zum Strafprinzip, zum Vollzugsprinzip im Gefängnis gehört“ und keinesfalls die RAF -Gefangenen alleine betreffe. Sein Bericht über die erlebten Haftbedingungen machte zudem klar, daß es selbst wenn die Gefangenen wollten, für RAFler derzeit keinen Normalvollzug geben kann. Als er selbst nach jahrelanger U-Haft, „die immer Isolation ist“, ins Gefängnis nach Diez verlegt wurde, seien extra drei Zellen leer geräumt und mit Spezialbeton und weiteren zusätzlichen Sicherungen umgerüstet worden. Zwei Jahre lang, von 1980 bis 1982 habe neben ihm, der in den Normalvollzug integriert werden wollte, am Arbeitsplatz Stunde für Stunde, Tag für Tag ein Beamter gesessen und ihm beim arbeiten zugeschaut. Der Sicherheitsstandard des Diezer Gefängnisses insgesamt sei erhöht worden. Jünschke plädierte vehement für die Zusammenlegung der RAF-Gefangenen, die das wollen: „Sie ist politisch notwendig. Nach 18 Jahren Isolation müssen sie die Möglichkeit haben zusammen zu diskutieren und dann auch mit den gesellschaftlichen Gruppen“.

Rechtsanwalt Ehrig ergänzte, daß schon aus rechtlicher Sicht die RAF- Gefangenen, „Sonderhaftbedingungen unterliegen“. Dazu gehöre die Trennscheibe, die Zeitungszensur, die zusätzlichen Kontrollen bis hin zum Nacktausziehen vor und nach jedem Hofgang und auch der nach dem Celler Loch erwiesene Einsatz von V-Leuten als Mitgefangene der RAFler. Einzel- und Kleinstgruppenhaft wirkten über die Jahre persönlichkeits- und gesundheitszerstörend.

Lea Rosh berichtete, wie der „Engel von Auschwitz“, der Massenmörder Oswald Kaduk, verurteilt wegen nachgewiesenem Mord an 1.012 Menschen, die er zum Teil regelrecht zu Tode getrampelt hat, behandelt wird. Nicht nur, daß die Justiz dem RAF-Häftling Lutz Taufer einmal Umschluß mit diesem Massenmörder angeboten hat. Viel skandalöser: Der SS -Unterscharführer ( dreimal Lebenslänglich) hat regelmäßig am Wochenende Knasturlaub.

Der neue Mann im Justizsenat, Christoph Flügge saß sehr einsam auf dem Podium, befand er sich doch von Anfang an in einer prekären Situation. Hatte er noch vor einer Woche, „ohne zu ahnen“, welchen Job er so plötzlich übernehmen musste, als Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen seine Teilnahme zugesagt, so mußte er seine Diskussionsbeiträge mit einer Entschuldigung beginnen: „Es ist schwieriger aus der jetzigen Position zu reden“. Mehr als das Angebot der sozialdemokratischen Länder und die Zusage, daß Berlin selbstverständlich eine Gruppe von vier bis sechs Gefangenen aufnehmen würde, wollte oder konnte er nicht machen. Der ehemalige Amtsrichter aus Moabit, von dem auch die AL einiges erwartet, war an diesem Abend trotz Blue Jeans ein lebendes Exempel dafür, welche Probleme rot-grün über heiß zusammengenähte Koalitionsvereinbarungen hinaus bedeuten wird. Und wie schnell der Wechsel von der Opposition an die Macht einem politischen, einem liberalen Mann regelrecht die Sprache verschlägt. So konnte er bestenfalls an seine Senatorin weitergeben, was Autonome und Anti-Imps in einem dringlichen Appell vom neuen Senat erwarten: „Eine große Gruppe in West -Berlin anzubieten“, „die sofortige Freilassung von Angelika Goder“ und „die Erfüllung der Forderungen der hungerstreikenden Frauen in Plötzensee“. Bemerkenswert an diesem Appell war die politische Analyse der derzeitigen Situation: „Politik der unnachgiebigen Härte,... Wäre ein Erfolg für die politische Rechte“. Sie setze auf durchaus vorhandenen „Kopf-ab“ Mentalität „um am rechten Wählerrand Stimmen für ihre Parteien zurückzugewinnen“.

Zwar gab es Andeutungen Flügges, wonach vom Berliner Senat das letzte Angebot noch nicht gemacht worden ist, aber ob eine Großgruppe kommt, bleibt weiter offen. Eine mögliche vorzeitige Haftentlassung Angelika Goders wird gegenwärtig geprüft.

Klaus Jünschke meinte, daß die einzige Chance eine breite Bewegung für menschliche Haftbedingungen zu bekommen darin bestehe, den Hardlinern um Rebmann den Boden zu entziehen. Auf den Autonomen laste da eine Verantwortung aber auch die Liberalen dürften sich nicht von ihrem Engagement für menschliche Haftbedingungen abbringen lassen, „von keiner, wie auch immer gearteten Provokation, von keinem Anschlag“, meinte er am Rande der Veranstaltung: „Die Autonomen müssen friedlicher und die Liberalen kämpferischer für Menschenrechte im Gefängnis eintreten“.

mtm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen