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Der sterbende Schwan

■ „Die französische Revolution und Europa 1789-1799“. Eine Ausstellung im Pariser Grand Palais

Sabine Seifert

Sie ist zu groß, sie ist mißraten. Rund 1.100 Gemälde, Skulpturen, Gebrauchs- und Kunstgegenstände versammelt die Ausstellung im Pariser Grand Palais, die sich alles auf einmal vorgenommen hat: Illustration der französischen Revolution, Herausstellung ihrer thematischen und künstlerischen Eigenheiten, Verknüpfung mit Europa auf politischer wie kunstgeschichtlicher Ebene. Blatt für Blatt wendet sich die Geschichte und nicht zum Besten der Revolution und ihrer Bilderkunst; so begeistert die Revolution als Neubeginn auch in der Kunst begrüßt wird, bleibt die Kunst im Ausdruck doch konservativ. Ein Widerspruch, der von dieser Mammutausstellung im zeitlichen Ausschnitt künstlich genährt wird. Wenn 1789 als Datum in der Kunstgeschichte etwas zu melden hat, dann ungefähr so: vorher regiert der Klassizismus, und nachher auch.

Die Besucher der Ausstellung machen sich also gefaßt auf wallende Ölschinken, langweilige Büsten, romantische Stiche, niedliches Porzellan, freuen sich auf grimmige Karikaturen, Entwürfe technischer Utopien und einige Bilder damaliger Meister. Drei große Abteilungen sind chronologisch und ohne jede Hilfestellung zu durchlaufen: Europa am Vorabend der Revolution; das Ereignis Revolution; die Kunstproduktion der Revolution. Hat es einen Aufbruch in der Kunst gegeben, so hat er vor 1789 stattgefunden. Noch nie hat sich die Kunst von einer Revolution revolutionieren lassen. Heldenkult

Bereits lange vor der Revolution war der Klassizismus mit seiner teils noch barocken Fülle und Bewegtheit, seiner idealistischen Stilisierung und seiner antiken Themenwahl an der Tagesordnung. Die Patrioten der Antike, die Antityrannen standen Modell für einen Heroenkult der vaterländischen Werte und moralischen Tugenden. Viel gefragt und gemalt war der Philosoph Sokrates. In Der Tod des Sokrates von Jacques-Louis David und Pierre Peyron weicht die Verzweiflung des Sokrates und seiner Umgebung, wie sie sich in anderen Bildern ausdrückt, einer rigorosen und heroischen Haltung des Protagonisten, korrespondierend mit dem strengen Bildaufbau.

Leicht ließ sich diese Bilderkunst nach 1789 ummodeln. Patriotische Tugenden sind mehr denn je gefragt, die siegreichen Momente der Revolution lassen sich in der Tradition der Historienmalerei blendend verpacken. Allegorien auf die junge Republik (auferstanden aus antiken Ruinen) sprießen, Vernunftgöttinnen lassen sich auf Erden nieder, und Freiheitsstatuen haben allerorten Hochkonjunktur. Die Revolutionsfeiern - in Form von Fronleichnamsprozessionen - sind letztlich nichts anderes als Ersatzhandlungen für feudale Bräuche und religiöse Kulte. Jacques-Louis David wird ihr Zeremonienmeister. Gebrauchskunst

Die Kunst wurde in den Dienst des Volkes, in den Dienst der Revolution gestellt. Drucke und Karikaturen, die meisten namenlos, werden schnell unters Volk gebracht, auf Haushaltsgegenständen zigfach kopiert. Unzählige Versionen der Erstürmung der Bastille kursieren. Die Revolutionsregierung vergibt Aufträge, um den Konvent, ihre Tagungsstätte zu schmücken oder aber die königlichen Leerstellen im Stadtbild aufzufüllen, wo einst die verschiedenen Louis‘ gutmütig oder stolz auf ihr Volk niederblickten.

Der Künstler ist entlassen aus dem Mäzenatentum und der höfischen Auftragsmalerei, das macht ihn arm. Der Künstler wird gebraucht im Namen der Republik, das macht ihn stolz. Die neue Regierung betreibt eine gezielte Förderungspolitik, nationale Wettbewerbe (concours), Preise (prix d'encouragement) und Salons unterstützen und verpflichten die Künstler.

So manches Mal haben die politischen Tagesereignisse den schöpferischen Prozeß überholt. Viele Bilder wurden nicht vollendet, oder sie wurden umgemalt, oder sie verschwanden ganz, wie zum Beispiel Freiheit und Tod von Jean -Baptiste Regnault: eine Allegorie (1794). Der jungen Republik - in Gestalt eines männlichen Engels, dessen Flügel in zart angedeuteten Farben der Tricolore leuchten erscheinen der Tod (als Sensenmann) und die Freiheit (als Frau, wie immer in griechischen Gewändern, die eine Jakobinermütze hochhält). Regnault hatte Pech, nach Robespierres Tod war der Jakobinismus nicht mehr gefragt. Die große Version ist seitdem verschwunden. Eine kleine Version ist in der Ausstellung zu sehen. Engagements

Erstaunlich wenige Maler nahmen sich der neuen sozialen Realität an, eine Ausnahme machen da Henri-Pierre Danloux mit dem Bild Scene de misere (Armut) oder Fereol de Bonnemaison mit La Rentiere (Die Rentnerin). Während der Jakobinerherrschaft entstanden einige der bekanntesten Arbeiten. Sie wurden zur Inszenierung von Todesfeiern in Auftrag gegeben. Keine Historienmalerei, sondern Porträts. Der ermordete Marat von David gehört dazu; dem streng komponierten Bild, das in der Pariser Ausstellung nur in einer Kopie vorhanden ist, sind andere zeitgenössische Versionen des von Charlotte Corday an Marat begangenen Blutbades beiseite gestellt wie zum Beispiel die von Joseph Roques. Keine fängt wie David so sehr die Unberührbarkeit eines Toten ein, der einmal berührbar gewesen war.

Anders gestaltet David (dem man im Oktober in Paris eine eigene Ausstellung widmen wird) den Tod des Joseph Barra, diesmal nicht kühl sezierend, sondern die kindliche Unschuld und sterbliche Schönheit seines Helden in warmes Licht tauchend. Robespierre hatte bewußt einen Heldenkult um den etwa zehnjährigen Jungen lancieren wollen. Dieser starb angeblich im Kampf gegen die Konterrevolution mit dem Schrei „Es lebe die Republik!“ auf den Lippen. David malt ihn sterbend in klassischer Heldenpose; der blonde Junge liegt bloß da, von androgyner Schönheit, wobei er eine Kokarde, eine Schleife in den republikanischen Farben, gegen sein Herz drückt. Der Hintergrund ist kahl, von derselben zarten Nacktheit und Tönung wie die Haut des Jungen. Ein sterbender Schwan der Revolution, glorifiziert und verführerisch schön. Ein idealisierter Tod also, der den realen Tod von Barra verleugnet. Seine Schönheit aber begehrt auf gegen das Sterben. David ist ein ambivalenter und genialer Adept seiner Auftraggeber. Er übersteht den Fall Robespierre gut. Er wird später Maler am Hofe Napoleons. Bilderkrieg

Während die französischen Maler also mit der Ausmalung der revolutionären Ereignisse beschäftigt waren, blieb man auch im Ausland nicht faul. Da sich Frankreich mit aller Welt im Krieg befand, ergoß sich eine ganze Flut antifranzösischer Karikaturen über den Kontinent und zirkulierte bald auch in der jungen Republik selbst. Federführend dabei war Englands Oberkarikaturist James Gillray, seine Zeichnungen sind bissiger als alles, womit die französische Seite konterte.

Sei es, daß die ihm verhaßten Sansculotten Europa mit auf Piken gespießten Brotlaiben zwangsernähren, oder daß dem gierigen und klapperdürren französischen Außenminister Dumouriez der Kopf von Louis XVI. auf einem Silbertablett serviert wird, häufig setzt Gillray der Revolution beziehungsweise den Ängsten der wohlgenährten Engländer auf „alimentäre“ Weise zu. In French Liberty, English Slavery zeichnet er einen vollkommen ausgemergelten und an Zwiebelbüscheln kauenden Sansculotten - die Freiheit zu hungern - und daneben einen feisten und gierig sein Roastbeef anschneidenden Engländer - Sklaverei des Fressens. So sehr auch Gillray Antirepublikaner war, karikiert er dennoch nicht nur die Feinde, sondern vor allem das eigene Feindbild. Genüßlich malt er den Teufel an die Wand, grimmig spürt er den dumpfen Ängsten der Engländer vor der revolutionären Volksseele nach.

Gillrays Karikaturen und die seiner Kollegen reagieren für die damaligen Verhältnisse blitzschnell - manchmal ist erst eine Woche verstrichen - auf die französischen Ereignisse. Doch es gab nicht nur Reaktionen im Ausland: In anderen Ländern sind, wie die Ausstellung mit historischen Stichen zu dokumentieren sucht, der französischen Revolution Aufstände vorweggegangen. Der Schweizer Johann Heinrich Füssli malt 1780 den Rütli-Schwur auf die Schweizer Republik. Einen systematischen Vergleich der Produktionen im europäischen Maßstab stellt die Ausstellung im Grand Palais leider nicht an. Noch einmal erweist sich die zeitliche eben nicht inhaltliche - Klammer 1789-99 als störend. Die revolutionäre Rumpelkammer hätte gehörig gesichtet, gelichtet und anders geschichtet gehört. Dem Besucher bleibt der dreibändige Katalog zum stolzen Preis von 400 Francs.

Etwas doch ist mit der französischen Revolution schlagartig aus der Malerei verschwunden: religiöse beziehungsweise christliche Themen. Dem revolutionären Bilderdienst ging ein Bildersturm voran, dem vor allem feudale und kirchliche Denkmäler zum Opfer fielen. Dem Vandalismus stand paradoxerweise ein Konservierungswunsch von nationalen Gemeingütern gegenüber, der zum Beispiel zur Schaffung von Museen und Bibliotheken führte. Volksbildung galt viel und schließlich mehr als die schönen Künste. Der Architekt Etienne-Louis Boullee hatte damals schon die größte Bibliothek der Welt geplant (nicht ausgeführt), und ausgerechnet in revolutionären Zeiten wurde der schöne Beruf eines Konservators (das französische Wort conservateur heißt sowohl Konservator wie konservativ) erfunden. Im neugeschaffenen Nationalmuseum waren die Kunstschätze früherer Epochen der Öffentlichkeit einverleibt, man begann enzyklopädisch zu sammeln und alles einer rationellen Technik (schließlich wurden mit der Revolution auch die metrischen Werte dauerhaft eingeführt) zu unterwerfen. Nicht ihr zuletzt verdankt man diese Fleißarbeit einer Ausstellung, bis zum 26.Juni im Grand Palais.

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