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Mexiko unter Atomstrom

Das erste AKW Mexikos geht ans Netz / Befürchtungen durch erste Unfälle bestätigt  ■  Aus Mexiko Jörg Hafkemeyer

Mehr als 300.000 Mexikaner werden seit Freitag mit Atomstrom versorgt. Das erste Atomkraftwerk des Landes, Laguna Verde, zu deutsch: grüne Lagune, ging ans Netz - trotz der Warnungen zahlreicher Experten und massiver Proteste. „Das ist völlig unverantwortlich“, wetterte der Schriftsteller Homero Aridjis. Er ist Sprecher und Mitbegründer der „Gruppe der 100“, einer Organisation von lateinamerikanischen Künstlern und Intellektuellen, die sich dem Umweltschutz verschrieben haben. Die Gruppe, der so bekannte Schriftsteller wie Gabriel Garcia Marquez und Carlos Fuentes angehören, hatte bereits Anfang 1986 bei einem Treffen mit dem damaligen Präsidenten Miguel de la Madrid vor der Inbetriebnahme des AKW gewarnt. Nach Ansicht zahlreicher Fachleute gehört der Siedewasserreaktor in Laguna Verde zu den unsichersten, die die Branche zu bieten hat. Und als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, mußten die Nationale Stromkommission (CFE) und die Regierung Stunden nach dem Einschalten des Reaktors die ersten Unfälle zugeben. Vier Arbeiter seien „geringen Strahlenmengen ausgesetzt worden“, heißt es offiziell - selbstverständlich „keine ernsthafte Gefährdung“.

1970, noch bevor in Mexiko der Ölboom ausbrach, beschloß die Regierung, für 500 Millionen Dollar ein eigenes Kraftwerk zu bauen. Elf Jahre später als geplant - die Kosten summierten sich schließlich auf 3,5 Milliarden Dollar - ging der Reaktor von Laguna Verde mit einer Leistung von 40 Megawatt, nördlich der Hafenstadt Veracruz etwa 250 Kilometer östlich von Mexiko-Stadt, ans Netz. Die Standortwahl war bereits früh auf Kritik gestoßen. Etwa 18 Kilometer entfernt vom AKW befindet sich ein noch aktiver Vulkan.

Wenn der seit dem 1. Dezember des vergangenen Jahres amtierende Präsident Carlos Salinas de Gortari noch in dieser Woche das Atomkraftwerk besuchen wird, werden ihn tausende Demonstranten empfangen. Das haben die „Mütter gegen Atomkraft“ und Anti-AKW-Gruppen aus 24 mexikanischen Städten bereits angekündigt. Die CFE teilte bereits mit, man werde mit dem Atomprogramm fortfahren. Daß aber - wie einst von Präsident de la Madrid versprochen - 20 AKWs 20.000 Megawatt Strom liefern, daran glaubt heute kaum noch jemand.

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