Höchste Auszeichnung

■ Zum 20. April 1933 wurden Adolf Hitler, oft zusammen mit Hindenburg, reihenweise Ehrenbürgerschaften verliehen / Norbert Haase und Christoph Hühne recherchierten, wie die deutschen Städte nach dem Krieg mit diesen Ehrenbürgerschaften verfuhren

Zwischen Maas, Memel, Etsch und Belt setzten Städte und Gemeinden im Frühjahr 1933 schwülstige Diplome in Richtung Reichshauptstadt in Marsch, „freudig bewußt in tiefster Dankbarkeit und Verehrung dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler, dem großen völischen Lehrmeister und ungebrochenen Vorkämpfer des Widerstandes gegen Unterwerfung und Not, dem starken Führer, dem Schöpfer deutscher Volkseinheit.“ (Plettenberg)

Das war zuviel der Ehre. Herr Hitler vermochte die vielen ihm angetragenen Ehrenbürgerschaften nicht mehr persönlich zu bewältigen. So heißt es in einem hektographierten Schreiben der Reichskanzlei vom April '33 an die Stadt Düsseldorf, „daß die große Zahl Ehrenbürgerschaften eine Bestätigung durch den Führer unmöglich mache.“ Unterschrieben von des Führers Intimus Bormann.

Einige Orte waren dem Zeitgeist vorausgeprescht, z.B. Coburg und Nastätten im Taunus (2800 Einwohner). Die Ehrenbürgerwürde der Taunusgemeinde erhielt der „Politiker Adolf Hitler in Würdigung seiner Verdienste um die nationale Wiedergeburt Deutschlands“ bereits am 14.Juni 1932.

Man war stolz darauf, dem Diktator seinen Ehrenbürgerstatus verleihen zu dürfen. Zum Beispiel in Trier. Das Ratsprotokoll vom 19.April '33 verzeichnet, „es sei die höchste Auszeichnung, die eine Stadt zu vergeben habe. Er (der Vorsitzende, d.V.) schilderte dann die großen Verdienste des Herrn Reichskanzler, wobei er im besonderen herausstellte, daß es ihm in der kurzen Zeit seiner Regierungstätigkeit gelungen sei, die deutsche Zwietracht ins Herz zu treffen und hoffentlich für alle Zeiten zu besiegen, daß er die große bolschewistische und kommunistische Gefahr für Deutschland zu Boden gekämpft und vor allem den deutschen Einheitsstaat zur Tatsache gemacht habe. Die Taten des Herrn Reichskanzler seien so groß und gewaltig, daß es wohl gerecht erscheine, ihm das Ehrenbürgerrecht auch der Stadt Trier, der ältesten deutschen Stadt zu verleihen. (...) Der Antrag wurde sodann einstimmig angenommen.“

Vorsorglich hatte man die beiden kommunistischen Abgeordneten gar nicht geladen, und der SPDler blieb fern. So dauerte das ganze Spektakel bloß zwanzig Minuten. Die Urkunde schließlich sollte, von einem „heimischen Künstler in bester Form ausgeführt“, überbracht werden. Und nicht nur das. Auch der Porta-Nigra-Platz erhielt des Reichskanzlers Namen.

In Trier dauerte es anschließend Jahrzehnte, bis auf Antrag der SPD-Fraktion nach einer förmlichen Aberkennung der Ehrenbürgerschaft Hitlers eine Diskussion in Gang gesetzt wurde, die auch in der überregionalen Presse Beachtung fand. Oberbürgermeister Zimmermann gab im März 1983 zu Protokoll, „daß dieser Rat Hitlers Ehrenbürgerschaft natürlich als erloschen betrachtet. Die Ehrenbürgerwürde hat Hitler durch seine verbrecherischen Taten verwirkt. Sie ist spätestens mit dem Ende seiner Gewaltherrschaft erloschen.“

So eindeutig scheint die Rechtslage jedoch nicht zu sein. Das zeigt die wiederaufgenommene Debatte in Frankfurt aus dem vergangenen Jahr. Hier hatten die GRÜNEN den Magistrat aufgescheucht, indem sie das juristisch und politisch zweifelhafte Verfahren nach dem Zusammenbruch des Nazi -Reiches monierten. Damals hatten Frankfurter Stadtväter versucht, nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln!“ den Kopf aus der Schlinge zu ziehen: „Hitler und Göring waren unwürdig, Ehrenbürger der Stadt Frankfurt zu sein. Da das Ehrenbürgerrecht mit dem Tode erlischt, erübrigt sich eine förmliche Aberkennung. Die Namen der Genannten sind unter den früheren Ehrenbürgern der Stadt nicht mehr zu nennen.“

Eine Begründung, die nicht nur in Frankfurt ausschließlich auf Nazis Anwendung fand. So ist die Vergangenheit reingewaschen, so hat es das Tausendjährige Reich nie gegeben.

Die formaljuristischen Spitzfindigkeiten und die niemals eindeutig geklärte Rechtslage, hinter der ein bundesweiter Verdrängungsprozeß örtlicher NS-Geschichte sichtbar wird, waren Grund genug, einmal nachzuhaken. In einem standardisierten Schreiben schickten wir an 100 bundesdeutsche Städte die Anfrage nach Ehrenbürgerschaften, die zwischen 1933 und 1945 verliehen worden waren und wie mit ihnen nach 1945 verfahren wurde. Immerhin: Aus 92 Städten kamen Antworten teilweise sehr aufschlußreichen Inhalts. Von den 57 Orten, die Hitlers Ehrenbürgerschaft bestätigten, hatte die Mehrzahl sie nach dem Ende des Kriegs widerrufen (40).

Dem Antifaschismus der ersten Stunde oder auch der Opportunität den Besatzungsmächten gegenüber - 29 Städte konnten dieser reumütigen Verfahrensweise zugeordnet werden

-folgte das Schweigen der Verdrängung. Erst seit Beginn der 80er Jahre flammte die alte Diskussion neu auf. Städte wie Wuppertal, Fulda, Wilhelmshaven, Paderborn, Koblenz, Cloppenburg und die Bundeshauptstadt Bonn distanzierten sich vom „Führer“ in mehr oder minder überzeugender Weise.

Diesen Befund bestätigt auch die Fleißarbeit über Ehrungen und Ehrenbürgerschaften in Geschichte und Gegenwart, eine Dokumentation des Dortmunder Karlheinz Spielmann aus dem Jahre 1965, der schon damals feststellen mußte, daß viele Städte Scheu zeigten, ihre in der fraglichen Zeit ernannten Ehrenbürger überhaupt preiszugeben. In Spielmanns keinesfalls erschöpfendem Compendium findet sich der Name Hitlers 71 mal, lediglich vom senilen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg übertroffen, den man vielerorts zeitgleich mit der hohen Würde beehrte. Eine Aberkennung wurde dem „Helden von Tannenberg“ nur selten zugedacht, weshalb Hindenburg bis heute in vielen Adreßbüchern als (ehemaliger) Ehrenbürger geführt wird.

Die Begründungen für eine Nichtbefassung mit dem heiklen Thema lesen sich oftmals kurios:

Passau: „Eine Aberkennung der Ehrenbürgerwürde nach dem Tode ist nicht möglich, daher wurden auch keine dementsprechenden Beschlüsse gefaßt. In dem offiziellen Ehrenbürgerverzeichnis ... werden die drei Genannten (Hindenburg, Hitler, v. Epp) nicht geführt.“

Hildesheim: „In den siebziger Jahren ist über eine Aufhebung im Rat zwar diskutiert worden, sie wurde jedoch nicht vollzogen, weil nach geltendem Recht § 30 NGO (Niedersächs. Gemeindeordnung) so interpretiert wird, daß nur lebende Personen Ehrenbürgerrechte wahrnehmen können.“

Ingolstadt: „Hindenburg, Hitler, Epp, Röhm und Wagner jedoch besitzen diese Würde nicht mehr, wenngleich eine offizielle Aufhebung anscheinend nicht erfolgt ist.“

Der Stadtarchivar von Coburg setzte noch eins drauf, als er die Nennung örtlicher NS-Ehrenbürger aus personenschutzrechtlichen Gründen versagte.

Das Lavieren um Ehrenbürger Hitler ist dabei rechtlich gar nicht zwingend. Die Gemeindeordnungen der meisten Bundesländer ermöglichen eine Aberkennung, bzw. den Widerruf wegen „unwürdigen Verhaltens“. Ein Blick auf die Nachkriegsjahre zeigt außerdem, daß man es mit Bezug auf dieses Thema nicht auf juristischer Erbsenzählerei beruhen lassen muß, wenn ein wahrhaftes Interesse an einer historisch-politischen Aufarbeitung besteht. Die Vielzahl der bis 1950 erfolgten Aberkennungen läßt darauf schließen, daß man damals eher in politisch-moralischen Dimensionen dachte.

So wurde im Gegensatz zu manchen anderen Gemeinden in Ulm nach dem Zweiten Weltkrieg in puncto Ehrenbürgerschaften von Nationalsozialisten schnell gehandelt. Schon am 23.Juni 1945 wurden mit Bekanntmachung im Amtsblatt Nr.1 der Stadt Ulm Hitler und anderen Nazi-Größen durch Verfügung des Oberbürgermeisters die Ehrenbürgerrechte aberkannt.

Auch das fränkische Würzburg handelte schnell. Das Ratsprotokoll vom 13.August 1945 vermerkt: „Der Oberbürgermeister teilt mit, daß die von der Militärregierung verlangte Entfernung von Nazi-Symbolen, Denkmälern und Nazi-Straßennamen durchgeführt ist; auch Schulen, Kasernen und sonstige Gebäulichkeiten mit Nazi -Bezeichnungen wurden umbenannt. Offen ist nur noch die Frage wegen des verliehenen Ehrenbürgerrechts an ehemalige Nazi-Größen. Es ergeht hiermit einstimmig der Beschluß: Alle an ehemalige Nazi-Größen verliehenen Ehrenbürgerrechte werden rückgängig gemacht und die Namen auf der Liste der Ehrenbürger gestrichen.“

Der Oberbürgermeister der Stadt Münster, Karl Zuhorn, zog sich unmittelbar nach dem Krieg sehr elegant aus der Affäre, als er Hitler das Ehrenbürgerrecht aberkannte, „sofern Hitler noch leben sollte“. Eine Entscheidung, die 1965 für in ihrer Konsequenz gegenstandslos befunden wurde. Das Rechtsamt der Stadt nämlich stellte fest: “... Hitler ist somit als Ehrenbürger der Stadt gestorben. Sofern eine Liste über die verstorbenen Ehrenbürger geführt wird, muß er in dieser Liste aufgeführt werden.“

Keine bundesrepublikanische Stadt oder Gemeinde würde es sich heute erlauben, Hitler oder andere Nazi-Größen im Deckblatt ihres Adreßbuches zu führen, wollte sie nicht einen öffentlichen Proteststurm entfachen. Manche Orte jedoch, wie Remagen oder Bad Nauheim, haben es immer noch nicht geschafft, sich von Ehrenbürger Hitler in akzentuierter Form historisch-politisch zu distanzieren, die Schmach zu tilgen.

Daß dies auch anders geht, zeigt das Beispiel der Hauptstadt. In Bonn sah man 1983 keinen Bedarf an einer formaljuristischen Distanzierung. Stattdessen wurde öffentlich eingestanden: „Die Politik Hitlers führte zu Leid, Verfolgung und Tod für Millionen Menschen in Deutschland, Europa und der Welt. Ihre Folgen wurden auch in unserer Stadt konkret erlebt und erlitten.“

Cloppenburg ist eines der wenigen positiven Beispiele der Anknüpfung an die Distanzierungspraxis der frühen Nachkriegsjahre. In seiner Sitzung vom 25.März 1983 hat der Rat der Stadt einstimmig die so kurz nach der Machtergreifung erfolgte „Ernennung“ von Hitler verurteilt. Mit dieser politischen Erklärung erfolgte eine Distanzierung von der seinerzeit ausgesprochenen Verleihung (!). Eine Aberkennung des Ehrenbürgerrechtes wäre nicht mehr möglich gewesen, da dieses mit dem Tod des Betreffenden ende.