KLEINES GLÜCK

■ Gorkis „Kleinbürger“ im Schloßpark-Theater

Gorkis Dramen sind, wie man weiß, stets vom Licht der am Horizont schon aufscheinenden Revolution durchdrungen. Doch brachte er nur einmal die streitenden Klassen selbst - in dieser Allgemeinheit - auf die Bühne. Vielmehr interessierten ihn die Milieus, deren unerträglich gewordenes Leben die Not und Veränderung ausdrückte, so das der Deklassierten oder das der „Kleinbürger“: der alten, die, wie Vater Besßjemenow, an schalen Glücks- und Wertvorstellungen um so krampfhafter festhalten, und der jungen, die wie seine erwachsenen Kinder aus ihrer Bildung nur einen weichlichen Zukunftspessimismus ziehen. Wohl handeln Gorkis Figuren ihrem Klasseninteresse gemäß, doch schälen sich da um so deutlicher die konkreten Menschen heraus, die Menschen, die sich eben nicht in ganzen Zahlen, sondern nur in Brüchen ausdrücken lassen, Brüchen zwischen den Generationen und den Klassen. Was interessiert uns das heute? Haben wir nicht den notorischen alten Klassenwiderspruch aufgehoben in eine ideale Einheit eines quicklebendigen Kleinbürgertums? Revolution droht uns nicht, Revolution gehört in die Geschichte, und Geschichte, weiß man als Deutscher besonders, ist immer Vergangenheit.

Die Inszenierung von Harald Clemens läßt das Stück nur dem äußeren Dekor nach im alten Rußland spielen, seine Gestalten sind ganz den heutigen abgeschaut. Bekannt kommt uns der schnöde Peter (Rolf Mautz) vor, Jurastudent, der's schon bedauert, an einer Studentenrevolte teilgenommen zu haben, oder die Kollegin der skeptischen Lehrerin Tatjana (Suzanne von Borsody) in ihrer Schwämerei, daß man den lieben Kinderchen doch etwas geben müßte, genauso wie Helena (Maria Hartmann), die Peter liebevoll aus dem Bürgermief befreien will und doch, wie der hellsichtige Tramp und Trinker Teterew (Walter Schmidinger) bemerkt, nur seine Rückkehr zum väterlichen Biedersinn befördern wird. Die Gestalt des alten Besßjemenow böte jede Gefahr, zum Polterkopf zu geraten. Hans Teuschers Besßjemenow sitzt jedoch das Ethos, das er predigt, selbst im Leib, und er muß zum Ärgsten gereizt sein, ehe er seine Wut daraus befreien kann.

Und wie wirkliche Menschen handeln sie. Die Liebesszenen, der spontane Kuß des proletarischen Paares, die von der Frau soufflierte schüchterne Liebeserklärung des Studenten, das geht an Leib und Seele, wie der große Streit am Schluß, in dem eine vorgestreckte Hand spürbar werden läßt, daß ihr nur weniges fehlt und sie schlüge zu.

Eine Inszenierung, der es gelang, die dem Stück innewohnende Aktualität zu befreien. Nun lebt man ja nicht mehr so familiär wie in Altrußland. Aber diese Glückshoffnung, Harmonie passe und Wut, und die Fluchtwege Vergnügungssucht, Pessimismus, Alkoholismus, die kennt man. Ist gar unser kleines Bürgerleben auch so unerträglich geworden? Schon gut. Jetzt haben wir ein gutes Stück Theater gesehen, das kriegen wir so bald nicht wieder, jetzt gehen wir erstmal einen trinken.

glagla