: Politik oder Geste?
Ein US-Linker zum Streit um die Bush-Einladung ■ G A S T K O M M E N T A R
Es gibt ein angelsächsisches Sprichwort: „Travelling broadens your mind - Reisen bildet“. Man kann es nur bedauern, daß Hilde Schramm und Christian Stroebele nicht nach Amerika gefahren sind, um den desorientierten Zustand unserer Führungselite an Ort und Stelle zu sehen. Präsident Bush kommt nach Berlin, aber er wird es unmöglich als Kreuzfahrer tun, eher als Bittsteller.
Die Deutschen und Europäer mögen ihm mehr Zeit gewähren, um nachzudenken über eine schreckliche Wirklichkeit. Die Sowjetunion hat unser Feindbild vernichtet, und Gorbatschow wird in der amerikanischen Öffentlichkeit fast so ernst genommen wie in der Bundesrepublik. Die Washingtoner Reise von Genscher und Stoltenberg mit der Absicht, ernsthafte und substantielle Verhandlungen über Waffen in Europa zu fordern, zeigt, wie einstige Forderungen der Friedensbewegungen Teil der Tagespolitik geworden sind. Jeder in Washington hat Walter Mompers so erfolgreiche Reise und seinen Empfang als eine klare Anerkennung der SPD-AL -Koalition gewertet und damit als ein Stück amerikanische Wahlhilfe für die SPD und die Grünen 1990.
„Man kann hier auf Bush verzichten“, das können wir Amerikaner mit Grund in Washington sagen. Schließlich aber ist er Präsident. Gerade weil wir als amerikanische Linke einige Macht (im Kongreß) und Einfluß haben, reden wir mit ihm. Was Jesse Jackson recht ist, kann der AL nur billig sein. Eine AL, die eine Rolle in der Weltpolitik spielen möchte, täte gut daran, ein Gesamtkonzept vorzulegen und Bush anläßlich seines Berlinbesuches zu einer Diskussion einzuladen. Schließlich verlangen auch viele Amerikaner, daß er seine Verzögerungstaktik und seinen Waffenfetischismus aufgibt.
Oder war dieser Aufruf zu einer inhaltslosen Demonstration eine Art Bekenntnis, daß im Moment Auswärtiges Amt, Adenauer -Haus und SPD über mehr Ideen in Ost-West-Politik verfügen als die früheren Verfechter einer neuen Politik?
Norman Birnbaum ist Professor an der Georgetown Universität und gehört zum linken Flügel der Demokratischen Partei (siehe auch Bericht auf Seite 24).
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