Genschers Abfuhr am Potomac

■ Außen- und Verteidigungsminister kehren mit leeren Händen nach Bonn zurück / Blitzbesuch endet als Desaster / SPD bekundet „nationalen Konsens“: Kohl soll hart bleiben / Monolog soll fortgesetzt werden

Berlin (taz) - Eine für die Regierung Kohl bislang beispiellose Abfuhr holten sich die Unterhändler der Bundesregierung am Montag in Washington. Entgegen den Wünschen Außenminister Genschers und Verteidigungsminister Stoltenbergs war US-Präsident Bush zu keinem persönlichen Gespräch bereit und überließ es seinen Ministern, ihre Bonner Kollegen auflaufen zu lassen. Sichtlich entnervt stellten sich Genscher und Stoltenberg dann am Montag abend den bundesdeutschen Washington-Korrespondenten, um diese mit einigen Allgemeinplätzen wie: die Gespräche seien in einer sehr konstruktiven, freundschaftlichen Weise geführt worden etc., abzuspeisen. Offenbar hat die US-Regierung keinerlei Kompromißangebote in Aussicht gestellt, wie dem Wunsch der Bundesregierung nach einer „baldigen“ Aufnahme von Verhandlungen mit der UdSSR über die Verringerung der in der BRD stationierten atomaren Kurzstreckenraketen zumindestens formal genüge getan werden kann. In einer Erklärung des State Departments im Anschluß an den „Blitzbesuch“ hieß es lakonisch, beide Seiten hätten ihre Positionen dargelegt „wir verstehen jetzt ihre Position besser und sie unsere“.

Zurück in Bonn zogen sich die beiden Emissäre erst einmal mit ihrem Kanzler zu Beratungen zurück. Anschließend sollte gemeinsam mit den Vorsitzenden der Koalitionsparteien die endgültige Formulierung für die Regierungserklärung am Donnerstag festgelegt werden. Vor der Bonner Presse versuchten dann Genscher und Stoltenberg standhafte Zuversicht zur Schau zu stellen. Die Bundesregierung halte auch nach den Gesprächen in Washington an ihrer Forderung nach Aufnahme baldiger Verhandlungen fest und hoffe nach wie vor auf eine Einigung mit der US-Regierung. Genscher beschränkte sich erneut auf euphemistische Äußerungen zur Atmosphäre und begründete seine Weigerung, inhaltliche Erläuterungen abzugeben, mit dem Argument, er wolle „den sich andeutenden Einigungsprozeß nicht zerreden“. Zumindestens glaube er, daß von der Bonner Position beachtliche „Wirkungen auf die Meinungsbildung im Bündnis“ ausgehen werden.

Damit deutet sich Phase zwei des Nato-Dialogs an. Beide Seiten werden nun versuchen, die bislang unentschiedenen Nato-Staaten für ihre Meinung zu erwärmen. Brüsseler Insider geben der Bundesregierung allerdings keine Chance: „Gegen Washington, London und Paris ist nichts zu machen.“ Die niederländische Regierung hat bereits die deutsche Haltung in der Raketenfrage deutlich kritisiert. Unterstützung darf Genscher dagegen von der SPD erwarten. Vogel erklärte die Raketenfrage zum „nationalen Konsens“ und forderte Kohl auf, hart zu bleiben.

Durchbrochen wurde der „nationale Konsens“ dagegen gleich wieder von der CSU. Ihr Abgeordneter Lowack, fühlte sich von der ganzen Geschichte überfahren und erregte sich darüber, daß die „Regierung sich nun auch in der Bündnispolitik von vermeintlich populistischen Gesichtspunkten leiten lasse“.

Jürgen Gottschlich