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Hollywood und Mailänder Scala

■ Premiere im Goethetheater: Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“ in der Version von U.M. Peters: Der vorurteilsbeladende Rezensent zeigte sich leicht überrascht

Das Ansehen einer italienischen Oper zwischen Bellini und Puccini bereitet mir stets Pein. Radio und TV kann man zur Entlastung ausschalten. Im Theater geht das nicht. Dort zerfrißt es mir die Eingeweide, wenn ein Enrico oder Leonardo sich ans Herz greift, um den vom sensationslüsternen Publikum erwarteten Spitzenton rauszuschmettern. Gäbe es nicht die traumhafte La Wally des unvergleichlichen Catalani, ich hätte den Mut längst verloren, im italienischen Repertoire nach Unerwartetem, Großem und Bewegendem zu suchen. Vielleicht, so mutmaßt der Rezensent, gibt's das bei Donizetti?

Regisseur U.M. Peters hatte im Vorgespräch gelockt: Menetekel und Trivialmythos, Comicstrip mit Belcanto, Massenkultur im Musentempel - irgendwo zwischen Hollywood und Mailänder Scala suchte er den Platz für seine Inszenierung.

Donizettis Oper erzählt frei nach Sir Walter Scotts‘ Historienschinken eine sehr einfache Geschichte: Ein Weib wird verschachert. Ihr Bruder - mißbraucht die blühende Schwester zur Herrschaftssicherung durch politische Heirat. Zuvor war noch deren heimliche Liebe zum gefährlichen Rebellen Edgardo durch filigrane Intrigen zu zerstören. Leider scheitert das geniale Konzept an der psychischen Konstitution der Titelheldin. Dem Wahne verfallen meuchelt sie im Brautbette den frisch Vermählten, singt ihre Wahnsinnsarie und verscheidet. Daß ihr Liebhaber das nicht überlebt, versteht sich von selbst. Dazu erklingt eine melodienselige, verdüsterte Musik, die bedenkenlos zeitgenössische Gebrauchsmusiken wie Marsch, Walzer, Volslied plündert. Des Volkes Musikvokabular wird überlagert durch artifiziellen,

virtuosen Kunstgesang. Naiv und circensisch - schön ist das.

Regie und Ausstattung zeigen einen gut durchdachten Bilderbogen, der Charaktere, Situationen und „Message“ in die Sprache heutiger Massenkultur übersetzt. Bild-, Farb-und Lichtzitate aus den großen Kinospektakeln der letzten 20 Jahre öffnen den Weg zur Story auch ohne Italienischkenntnisse. In Viscontis Leopardenpalast - grau -blau-schwarz -, mit verlotterten Blattgoldresten verlustieren sich die Spitzen der Gesellschaft und feiern ihres Duce, Conductators oder Führers geniale Schachzüge. Sergio Leones Ledermantelkiller spielen das Lied vom Tode und der hübsche Lambert schwingt Highländers Schwert.

Schöne, erhellende Bilder entstehen so, am bezwingendsten bei Lucias Wahnsinnsarie. Im blauen Lichte der Romantik erblüht im blutigen Gewande die Irre, der einzig lebende Mensch unter lauter Mumien. So gesehen entpup

pen sich die eher albernen Koloraturen der Primadonna als Botschaft einer besseren Welt.

Eben jene Szene zeigt aber auch eine zentrale Schwäche der Inszenierung. Das Bild wird zum Abziehbild. Der Chor verkrümelt sich am Rande, die Primadonna verströmt, weil erkrankt, heiseren Wohlklang. Unentschiedenheit in der Personenführung zwischen Tradition und Regie-Oper gibt dem grauen Opernalltag reichlich Gelegenheit, sich in die klug konstruierten Bilder einzuschleichen. Mit ihm untrennbar verbunden, macht sich unfreiwillige Komik breit. Pater Raimondo, der klassische Geistliche in all diesen Schauerdramen, changiert zwischen Parodie und Hilflosigkeit. Wir sehen nur inhaltsschwangere Gesten, keine bezwingende Action.

Dies konzeptionelle Loch indessen verdarb mir nicht den Spaß am Zuschauen und -hören. Es wird ausgefüllt durch intensives und sorgfältig einstudiertes Musizieren. Donizetti, gern eben mal orchestral abgenudelt, glüht und funkelt in den intensiven Farben der Bühne auf. Die Koordination zwischen Orchestergraben, Chor und Solisten schien mir gelungen. Letztere, zum Teil witterungsbedingt geschädigt, entfalteten die staunenswerte stimmliche Potenz, die im hiesigen Ensemble steckt. Gerald Dolter als Finsterling stellt seinen immer „heldenhafter“ werdenden Bariton in den Dienst der Sache, Walter Fink verströmte wohlgerundete, aber etwas eindimensionale Baßlaute in Raimondos Hirtenworte - und Jeanne Bruggemann zwang ihren von Erkältung gezeichneten So pran auf die vom Komponisten vorgezeichneten Linien. Mit Mihai Zamfir aber, der Inkarnation des Lyrischen Tenors, ging trotz nächtlichen Ambientes die Sonne

auf. Nicht ödgleißendes Gold verstrahlt er, wie seine berühmteren Kollegen, mit seinem tenoralen wärmt er mir das Herz.

Brementypisch heftigen Beifall für's musikalische, unverdiente Buhs für diese eigenartig stark-schwache Inszenierung. Mario Nitsch

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