piwik no script img

„Geisterfahrer der Sicherheitspolitik“

■ Vorgezogene Sitzung des Innenausschusses geriet mehr zur polemischen Selbstdarstellung als zur Klärung des Einsatzkonzepts / Polizeipräsident Schertz und Innensenator Pätzold demonstrieren wieder Einigkeit

Eigentlich hätte man es vorher wissen können: Nach einem jahrelangen altbewährten ungeschriebenen Gesetz sind Sitzungen des Innenausschusses immer dann wenig ertragreich, wenn es sich um „Sonder- oder vorgezogene Sitzungen“ handelt. Die gestrige gehörte zu der Spezies „vorgezogene“ und diente dazu, alles das noch einmal zu sagen, was man in den letzten fünf Tagen vor der Presse und in der Presse von sich gegeben hatte. Und da es eine konstituierende Sitzung mit teilweise neuer Besetzung war, erfüllte sie auch den Zweck der einführenden Selbstinszenierung.

Die Rollen waren eindeutig verteilt: Das frischgebackene Ausschußmitglied Klaus-Rüdiger Landowsky (CDU) spielte den „christlichen Demagogen“ (Renate Künast, AL), der Innensenator rechtfertigte sich, der Polizeipräsident gab sich loyal, der „Republikaner“ tumb, und die AL versuchte zu beweisen, daß eigentlich die CDU an allem schuld sei.

Noch bevor der Innensenator ein Wort gesagt hatte, drohte Landowsky bereits damit, einen Untersuchungsausschuß zu beantragen, falls er bis zur nächsten Sitzung keine Protokollauszüge der polizeilichen Besprechungen mit Pätzold in den Händen habe. Im Laufe der Sitzung unterbrach der schlagfertige Vielredner immer wieder mit Fragen oder Rügen wie: „Herr Pätzold, Sie sind jetzt kein Abgeordneter mehr, Sie haben auf Fragen zu antworten!“ Die AL solle sich erst mal mit den Gewaltbefürwortern in ihren eigenen Reihen beschäftigen, fauchte er in Richtung der beiden AL -Abgeordneten.

Ansonsten wollte er vor allem Einzelheiten wissen, da er davon ausgehe, daß ihm Pätzold „in der Schminkkabine von SAT 1“ die „Unwahrheit über die Dienstbesprechungen“ gesagt habe. Warum wurde der Demonstrationszug nicht begleitet, warum waren die Polizisten in den Seitenstraßen geparkt, wieso diese restriktive Handhabung bei den Festnahmen, warum gab es keine Videoaufnahmen, warum trugen die Beamten teilweise nur einfache Dienstkleidung, und warum sei man einem Hinweis des Verfassungsschutzes auf mögliche Gewalttaten vom Vormittag des 1.Mai nicht nachgegangen wollte er u.a. wissen. Der CDU-Abgeordnete lieferte aber seine Einschätzung der Abläufe gleich mit, obwohl die Debatte erst für kommenden Montag vorgesehen ist. Pätzolds „stures Festhalten an der von nahezu allen als gescheitert beurteilten Einsatzstrategie macht ihn zu einem Geisterfahrer und Risiko der Sicherheitspolitik.“

Der „Geisterfahrer“ bekannte sich noch einmal zu seiner Konzeption und lobte sich selber und seinen Regierenden Bürgermeister so über den Klee, daß es die Opposition leicht hatte, immer wieder in höhnische Zwischenrufe auszubrechen. Wie wunderbar kollegial er mit der Polizei umgehe, die dies anscheinend gar nicht gewohnt sei, meinte er; wie toll dieser Regierende Bürgermeister sei, der sich mitten in der schwersten Unruhe unters Kreuzberger Volk mischte, und daß er am Samstag die verletzten Polizisten besuchen gehe. Ein Hinweis, den die Presse gleich, wie wohl beabsichtigt, „Fototermin“ murmelnd, im Terminkalender notierte.

Die AL-Abgeordneten Lena Schraut und Renate Künast wollten eigentlich lieber über die Mainächte vergangener Jahre reden als über den diesjährigen 1.Mai. Ob denn der Innensenator auch die Einschätzung teile, daß die Gewalt in diesem Jahr wegen der Einsätze der letzten Jahre mehr geworden sei, wollte sie wissen. Innensenator Pätzold hütete sich wohlweislich, der Polizeibehörde durch eine einfache Bejahung in den Rücken zu fallen. Das sei sicherlich mit ein Grund, formulierte er vorsichtig, aber „monokausale Zusammenhänge“ gebe es nicht.

Der „republikanische“ Abgeordnete Degen, jung, bärtig und unsicher, raffte sich schließlich zu der Frage auf, warum die Polizisten so angezogen waren, wie sie angezogen waren, und bewies damit einmal mehr, daß die Partei nicht gerade ihre Intelligenz ins Abgeordnetenhaus geschickt hat - so sie denn über eine verfügt.

RiHe

(Siehe auch Seite 4)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen