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In Sachen Oppenheimer

■ Ab heute gibt's an dieser Stelle mehr oder weniger regelmäßig Kopf-Hörer-Tips für walk-men and -women, für Hörspiel-Freaks und Literaturbessene. Klaus Farin (freier Autor) bespricht in loser Folge aktuelle Kassettenproduktionen aus ARD-Anstalten und unabhängigen Studios, die zum Hin- und Wiederhören geeignet sind. Den Auftakt macht er heute mit Heiner Kippardts legendärem Hörspiel über den Fall „Oppenheimer“ (Red.)

Im April 1954 mußte sich der „Vater der Atombombe“, der Physiker Robert Oppenheimer, vor einem Senatsausschuß „unamerikanischer Umtriebe“ verantworten. Der Vorwurf gegen den Wissenschaftler lautete - so wörtlich die Anklage „Gedankenverrat“. Oppenheimer sei aufgrund „subjektiver Illoyalität gegenüber dem Staat“ sowie „beunruhigender charakterlicher Defekte“ ein Sicherheitsrisiko.

Basierend auf den authentischen, 3.000 Seiten umfassenden Protokollen, zeichnete Heiner Kipphardt 1962 das kafkaeske Verhörmarathon in seinem Hörspiel In der Sache J. Robert Oppenheimer nach. Drei Stunden nichts weiter als ein betont kühl inszenierter Frage-Antwort-Schlagabtausch mit bekanntem Ergebnis - und doch bis zur letzten Minute seltsam spannend. Durchaus ein Werk für Krimifans. Aber nicht fiktiv, auch wenn die Ausschußmitglieder Orwells 1984 entsprungen scheinen: süffisante Fragen nach Nächten, die Oppenheimer zwölf Jahre zuvor mit einer Kommunistin verbracht hatte, Zitate aus seiner - vom FBI abgefangenen Privatpost, gekaufte Zeugen und gefälschte Spitzelaussagen. Auf der anderen Seite die unfaßbare Naivität des fortschrittsgläubigen Physikers, der nach Hiroshima Skrupel entwickelte und sich gegen den Bau der Wasserstoffbombe aussprach, um einige Jahre später, fasziniert von den Entdeckungen Edward Tellers, wieder einzusteigen - mit folgenlosem schlechten Gewissen. „Es ist nicht die Schuld der Wissenschaftler, daß aus ihren genialen Ideen immer Bomben werden“, verteidigt sich Oppenheimer noch im Verhör 1954.

25 Jahre nach seiner Erstsendung - drei Jahre nach Tschernobyl, inmitten täglicher Öko-Katastrophen und ungebremster Gen-Tech-Euphorie - erweist sich Heiner Kipphardts Hörspiel als Dokument von beklemmender Aktualität.

Farin

Der Ernst Klett Verlag veröffentlichte die BR/WDR-Produktion neu in seiner Reihe Cotta's Hörbrühe (2 Kass.; 183 Min.; 36 Mark). Regie: Fritz Schröder-Jahn; Sprecher: Hans Nielsen, Dieter Borsche, Paul Dahlke, Hans Christian Blech u.a.

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