Die Obszönität des Geschäfts

■ David Mamets Theaterstück „Die Gunst der Stunde“

David Mamets Dramaturgie eignet eine extreme Reduktion. Handlungen, Personenkonstellationen und moralische Konflikte sind von einer Einfachheit, die kaum mehr aristotelisch zu nennen ist, einer trügerischen Einfachheit jedoch, von der man - wie bei der Spitze des vielbemühten Eisbergs extrapolieren muß.

In Die Gunst der Stunde hat er die Aussparung bis zum Paradoxon getrieben: einer Hollywood-Satire, in der keine Filmkünstler auftreten. Das Dreipersonenstück hat einzig Raum für eine Aushilfssekretärin und zwei Produzenten, die von Drehbüchern und Filmen sprechen, als sei der Erwerb der Besitzrechte gleichbedeutend mit der künstlerischen Urheberschaft. Seine eigenen Hollywood-Erfahrungen als Autor und Regisseur waren - nicht im schlechtesten Sinne zwiespältig, und Mamets Betroffenheit liegt dem Stück jenseits eines etwaigen larmoyanten Selbstmitleids zugrunde; er hat sie geradezu spielerisch als Insidergag verpackt: In den Dialogen der beiden Produzenten mag er mal als „schlaffer Ostküstenschreiber“, mal als „berühmter Schriftsteller von der Ostküste“ figurieren, in jedem Fall hat Mamet die Kehrseite seiner Erfahrungen mit Produzenten, die ihn mit einem ständigen Wechselbad aus Aggressivität und Schmeichelei behandelten, dramatisiert.

Der Angelpunkt des Stückes ist jedoch die Monströsität des amerikanischen Geschäftswesens. Zum Produktionschef des Studios avanciert, ist Bob Gould nur noch den Weisungen des allgewaltigen Studioleiters Ross verpflichtet. Am Tag seines Amtsantritts antichambriert Charlie Fox, der nach einem guten Dutzend Jahren des gemeinsamen Katzbuckelns auf der Karriereleiter glaubt, der neuerlich erfolgreiche Freund sei ihm „etwas schuldig“. Fox schlägt ihm ein Skript vor, für das er einen Topstar gewinnen und somit einen Kassenschlager garantieren könnte. Der Handel mit Fox scheint perfekt; Gould hat sich lediglich noch bereiterklärt, als „Höflichkeitslektüre“ einen prätentiösen Endzeitroman zu lesen, dessen Titel (der gar kein Romantitel ist) Die Brücke oder: Strahlung und die Halbwertzeit der Gesellschaft. Eine Studie des Verfalls ihn zwar als Antithese, keinesfalls jedoch als wirkliche Alternative zur Durchschnittsproduktion der Traumfabrik ausweist. Dennoch gibt es jemanden im Studio, der „das Gewicht der Welt in diesem Buch“ fand: Karen, Goulds Aushilfssekretärin, die er gebeten hat, ihm den Kurzinhalt des Buches nach Feierabend in seiner Wohnung zu referieren (er hat außerdem eine Wette mit Fox laufen, daß er die Frau noch am gleichen Abend ins Bett bekommen wird).

Karen ist eine Variation über einen Archetypus, den sich der klassische Hollywood-Roman oft zum moralischen Zentrum erkoren hat: der weibliche Außenseiter, dessen Reinheit und naiv-gesunde Einstellung zum Filmgeschäft (Karen: „Aber warum muß das denn alles Dreck sein?“ Gould: „Es ist ein Geschäft mit seinen eigenen unwandelbaren Gesetzen.“) das Versprechen der moralischen Erneuerung für den männlichen Protagonisten in sich birgt. Karen versucht, Gould für die Verfilmung des Strahlenromans (an Stelle des von Fox vorgeschlagenen Stoffes) zu begeistern, und somit gerät Mamet der zweite Akt fast zwangsläufig zu einem Diskurs über Kunst und Kommerz. Die Berliner Erstaufführung fand ein ironisches Bühnenbild für dieses Aufeinanderprallen zweier verschiedener Konzeptionen: Goulds Villa liegt so weit oberhalb von Los Angeles, daß die Millionenstadt nur schemenhaft im Hintergrund schillert - eine Chimäre, ebenso vage wie die verschiedenen Vorstellungen dessen, was das Massenpublikum braucht und will. Mamet konterkariert die virile Geschäftstüchtigkeit der Studiomaschinerie („Das Ding drehen, das alle Welt schon letztes Jahr gedreht hat, das Bild machen, das die Leute sehen wollen!“) mit einer Suche nach Wahrhaftigkeit, die sich an schwülstige Esoterikklischees verliert (und sich auf einen Roman kapriziert, der bei aller grotesken Überspitzung eine Aufgabe erfüllt, die Mamet selbst für seine Bühnenarbeit reklamiert: einen Kulturkreis zu repräsentieren, der sich mit der Frage „Wie kann ich in einer Welt leben, in der ich zum Sterben verdammt bin?“ beschäftigen muß). Es gelingt Karen, Gould für den Roman zu gewinnen, freilich nicht, ohne mit ihm zu schlafen - schließlich ist auch sie ehrgeizig. „Mit Karen hat Mamet zum ersten Mal eine weibliche Figur ausmodelliert, die - als Sekretärin zunächst in die klassische Rolle des dekorativen Accessoirs gedrängt zunehmend zur Herausforderung und Bedrohung der hermetisch abgeschlossenen Männerwelt wird. Letztendlich wird natürlich Fox über den kurzen Moment der Intimität zwischen Gould und ihr triumphieren: „Bobby, reden wir doch, wie es sich geziemt für zwei Geschäftsleute: Das Weib hat dich ausgetrickst.“ Hier endlich lenkt Die Gunst der Stunde das Augenmerk darauf, wie eng das Funktionieren der Dschungelwelt des Geschäftslebens in Mamets Stücken mit der Obszönität seiner Dialoge verknüpft ist. Als müßten sich die Akteure ständig ihrer eigenen Virilität versichern, entfachen sie ein wahres Sperrfeuer der Zoten und Anzüglichkeiten, dem nur der zweite Akt kurzfristig Einhalt gebietet. Brutal ist die Reduktion der Dialoge bei Mamet ohnehin, und ihr Spannungsbogen scheint einzig aus ihrem Rhythmus zu entstehen, aus den gegenläufigen Bewegungen des eigentlichen Gesprächsthemas einerseits und den beständigen, kurzfristigen Unterbrechungen, mechanisch-emphatischen Wiederholungen zumeist, andererseits: ein Stakkato der retardierenden Momente.

Die Aggressivität dieses Sprachgestus (der nicht eimal der Regieanweisung bedarf, er entsteht ganz aus sich selbst) entspricht ganz dem Klima dieser Chefetage, deren Luft Karen zu dünn wird. Am Ende bleibt ihr nur die Erkenntnis „Ich habe hier nichts mehr verloren“, in der das Credo der Außenseiter der Hollywood-Romane widerklingt und das Horace Mc Coy programmatisch im Titel eines der schönsten ausformuliert hat: „I should have stayed home“.

Gerhard Midding

David Mamet, Die Gunst der Stunde, Übersetzung: Bernd Samland, Luchterhand Literaturverlag, 80 Seiten, 12,80 DM