Mit dem Aids-Risiko leben

■ Rat & Tat-Zentrum kritisiert staatliche Prävention / Lebensbedingungen der Betroffenen zur Grundlage machen / „Aidsaufklärung nein, Sexualaufklärung ja“

„Uns geht es darum, Aids als eines von vielen Lebensrisiken anzunehmen. Wir haben akzeptiert, daß Aids ein Problem für uns Schwule darstellt.“ Das sagte gestern Jörg Hutter, Mitarbeiter des Rat & Tat-Zentrums für Homosexuelle bei der Vorlage eines Memorandums zur Anti-Aids-Arbeit in Bremen.

Rat & Tat ist mit der Krankheit und ihren Auswirkungen täglich konfrontiert. Vier hauptamtliche Mitarbeiter und seit dem 1. Mai auch ein Zivildienstleistender arbeiten im Aids-Bereich des Schwulenzentrums. 25 Erkrankte

wurden bisher betreut. Bei vielen bedeutet das eine Begleitung bis zum Tod, die sowohl psychosoziale Betreuung als auch die Organisation von Krankenpflege einschließt. „Keiner unserer Freunde ist gezwungen, sich während seines letzten Lebensabschnitts in schwulenfeindliche Abhängigkeiten zu begeben“, so das Memorandum.

Im Aids-Bereich von Rat & Tat sind bisher außerdem etwa 40 Menschen mit Aids-Betreuung vertraut gemacht worden'und es besteht Kontakt zu rund 30 HIV-Positiven. Aus dieser Ar

beit heraus hat das Zentrum die Überlegungen entwickelt, die jetzt im Memorandum veröffentlicht werden. „Wir wollen die Aids-Problematik nicht trennen von schwulen Emanzipationsproblemen und der gesellschaftlichen Situation der Homosexuellen. „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und eine vertrauensvolle Atmosphäre, die z.B. Infizierten ein „zweites Co ming-Out“ ermöglicht, sind wichtige Bestandteile der Aids-Prävention“, sagt Hutter, „es kann nicht beim Verteilen von Kondomen bleiben.“ Nicht

nur die körperlichen Ursachen, sondern auch seelische, soziale und politische Dimensionen der Krankheit sollen Inhalte der Arbeit sein, die sich auch auf die nichtinfizierten Schwulen beziehen soll.

Das Rat&Tat-Zentrum setzt in der Anti-Aids-Politik auch weiterhin auf die Stärkung der Selbsthilfe-Gruppen. Das Zentrum hofft, daß der Bremer Senat einspringt, wenn in zwei Jahren die Bundesmittel für die eigene Aids-Arbeit auslaufen, damit die inhaltlichen Vorstellungen des Memorandums weiterhin praktisch

umgesetzt werden können.

ms