Kritiker von UdSSR-Reaktoren vor Wiedereinstellung?

Der polnische „runde Tisch“ hat schlafende Hunde geweckt: Wenn die Regierung der Wiedereinstellung während des Kriegsrechts entlassener Atomwissenschaftler zustimmt, schafft sie sich selbst eine Lobby gegen das eigene Atomprogramm / Baugenehmigungen für die AKWs in Zarnowiec und Warta angezweifelt  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„In Swierk wollen sie wirtschaftlich arbeiten“, behauptete unlängst die polnische Parteizeitung 'Trybuna Ludu‘ in einem Bericht über das Atomforschungszentrum, das in dieser Stadt beheimatet ist. Ein Teil dieses Instituts wolle sich selbständig machen, um mit den Gewinnen aus der Isotopenproduktion nicht länger die Verluste der anderen Abteilungen des Zentrums finanzieren zu müssen. „Soll man das Institut teilen?“ fragte 'Trybuna Ludu‘ und legte die Antwort gleich nahe: „In der Zeit der Reform sollten mutige Initiativen, die Fortschritt und Effektivität den Weg bahnen, Vorrang haben.“

Es ist kaum anzunehmen, daß der Reporter des Parteiorgans nicht wußte, daß er mit dieser an sich harmlosen Wirtschaftsreportage in einem Wespennest stocherte. Die Verhältnisse im Atomzentrum von Swierk sind nämlich immer noch eine Art offene Wunde der Kriegsrechtspolitik. 1982 war das „Institut für Kernforschungen“ nämlich in drei Teile zerschlagen worden. Seither gibt es auf dem Gelände des Zentrums drei Firmen unter der Aufsicht der Polnischen Atomenergieagentur. „Diese Maßnahme hatte ohne Zweifel repressiven Charakter“, meint selbst Professor Zelazny, heute Vorsitzender des Betriebsrates und damals Vizedirektor des Instituts: Die Aufteilung wurde zum Vorwand genommen, um unbequeme Gewerkschafter loszuwerden. In Swierk gab es eine starke Solidarnosc-Bewegung unter den über 4.000 Mitarbeitern.

Doch dies war nicht der einzige Grund: Viele der Wissenschaftler stellten sich gegen die Atompläne der Regierung. Andrzej Wierusz, Ingenieur für Reaktortechnik, der damals ebenfalls entlassen wurde: „Wir sind davon ausgegangen, daß das Ganze nur Sinn macht, wenn wir westliche Technologie importieren und die Kraftwerke selbst bauen.“ In den siebziger Jahren habe es Angebote aus der BRD gegeben; „aber als plötzlich das Angebot aus der Sowjetunion kam, wurden die westdeutschen Offerten nicht einmal geprüft“. Dabei habe es für die sowjetischen Druckwasserreaktoren, die jetzt für das Danziger AKW Zarnowiec vorgesehen sind, nicht einmal eine ausreichende Sicherheitsdokumentation gegeben. Wierusz: „Viele Daten mußten wir in Privatgesprächen unseren sowjetischen Kollegen aus der Nase ziehen, weil sie nie veröffentlicht worden waren.“

Die Druckwasserreaktoren des Typs WWER sind indessen auch für das bei Poznan geplante Atomkraftwerk „Warta“ vorgesehen. Naturwissenschaftler der dortigen Universität haben sich auch bereits gegen diese Technik ausgesprochen. Und im Atomzentrum Swierk kursiert ein Schreiben von Professor Zelazny, in dem dieser auf die schlechte Qualität der Druckbehälterventile und Kühlkreislaufpumpen hinweist. 1983 hatten solche Mängel bei einem WWER-Reaktor im bulgarischen Kozloduj zu einer Havarie geführt. Jahrelang war geheimgehalten worden, daß damals 13 Stunden lang hochradioaktiver Wasserdampf aus dem Primärkreislauf ausgetreten war.

Viele Wissenschaftler in Swierk vertreten inzwischen die Ansicht, wenn Polen schon unbedingt Atomkraftwerke bauen wolle, dann einen Reaktor der dritten Generation mit automatischer Selbstabschaltung, „ein finnisches Modell zum Beispiel“ (Zelazny).

Der Konflikt zwischen der Regierung, die aus bündnispolitischen und finanziellen Gründen sowjetische Technologie favorisierte, und den Experten, die westliche Technologie forderten, schwelte bereits in den siebziger Jahren. Mit der Zerschlagung von Swierk 1982 wurde der Konflikt nur vorläufig beendet. Denn jetzt ist er durch den „runden Tisch“ wieder auf die Tagesordnung geraten. Seit die Regierung dort nämlich zugesagt hat, ungerechtfertigte Entlassungen während des Kriegsrechts wohlwollend zu überprüfen, stehen die Chancen gut, daß auch die Atomdissidenten von Swierk wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren können.

Zugleich steht damit auch die Reorganisierung des Zentrums an, wenn auch unter anderen Vorzeichnen, als die 'Trybuna Ludu‘ dies darstellte. Fachlich sei beides überaus gerechtfertigt, meint man in Swierk, und der Konflikt der Isotopenabteilung mit dem Atomenergieinstitut gäbe da auch einen Vorwand ab, der der Regierung einen Gesichtsverlust ersparen würde - im Zuge der Umstrukturierung fällt die Wiedereinstellung der Entlassenen nicht so stark auf. Mit der Zustimmung zur Rückkehr würde die Regierung allerdings die Front der WWER-Gegner in Swierk noch weiter verstärken.

Die Zeiten, in denen inhaltliche Dispute durch einen ministeriellen Ukas beendet wurden, scheinen allerdings vorbei. Bis in die zuständigen Ministerien hinein macht sich nämlich Nachdenklichkeit breit. Nachdem die Opposition am runden Tisch in der Untergruppe Ökologie die rechtlichen Grundlagen der Baugenehmigungen für Zarnowiec und Warta angezweifelt hat, sollen nun auch Gegner des Regierungsprogramms in den entsprechenden Gremien zu Wort kommen. Für Ende dieses Monats hat der Atombeirat des Energieministeriums zu einem runden Tisch im Ministerium geladen. Erstmals dabei sind auch erklärte Gegner der bisherigen Konzeption. Die allerdings fragen sich, ob eine Kurskorrektur noch möglich ist oder ob der Bau von Zarnowiec nicht schon zu weit fortgeschritten ist.