: Hinterhalt für Pätzold?
■ Wollte die Polizeiführung den Innensenator am 1.Mai auflaufen lassen? / Beamte der mittleren Ebene beschweren sich über „katastrophale“ Einsatzleitung
Die Diskussion um die Krawalle am 1.Mai in Kreuzberg nimmt innerhalb der Polizei plötzlich einen anderen Verlauf. Stand bisher die Deeskalation im Kreuzfeuer der Kritik, übten nun Beamte aus der mittleren Polizeiebene, die sich am 1.Mai im Einsatz befanden, scharfe Kritik an der Polizeiführung. Sie bezeichneten die Organisation des Polizeieinsatzes auch gegenüber Innensenator Pätzold als eine „Katastrophe“, mit dem Effekt, daß nun die Stühle von Landespolizeipräsident Schertz und Landespolizeidirektor Kittlaus wackeln und Pätzold zunächst aus der Schußlinie ist.
Die Beamten beanstanden, daß während der „revolutionären Demo“ zwei Blöcke von je 400 Autonomen erst sehr spät von Polizisten seitlich begleitet worden seien, obwohl zuvor aus diesen Blöcken heraus ein Verkehrspolizist mit Steinen beworfen worden war und mehrere Geschäfte geplündert wurden. Wie die 'Frankfurter Rundschau‘ gestern berichtete, geschah dies trotz der Anweisung, bei Störungen „unverzüglich“ einzugreifen. Die Demo, an der rund 10.000 Menschen teilnahmen, wurde bis zur Abschlußkundgebung nur von rund 60 Beamten begleitet. Die Blöcke der Autonomen seien danach geschlossen zum Lauseplatzfest „abgerückt“, obwohl der Durchführungsplan vorgab, den „Abmarsch eines geschlossenen Störerblocks“ zu verhindern. Auch als es dort zu Plünderungen eines Supermarktes und eines Getränkeshops kam, wurde nicht eingegriffen. Als Grund war angegeben worden, es hätte keine Beamten gegeben, die man hätte einsetzen können
-obwohl beide Läden als „besonders gefährdete Objekte“ galten. Kritik wurde deshalb auch an den Aufstellräumen der Polizeireserven laut. Diese hätten kilometerweit von den Krawallorten entfernt gestanden. Pätzold hatte empfohlen, die Reservebeamten in Nebenstraßen des Geschehens zu postieren. Eine Einsatzbereitschaft, die in der Nähe war, wurde dagegen, nachdem die Krawalle schon begonnen hatten, nicht eingesetzt, obwohl die Beamten das von der Polizeiführung verlangt hatten.
Aufgrund der jetzt bekanntgewordenen Details erinnern Sozialdemokraten an den Palmsonntag 1981: Damals lag der Kudamm in Scherben, und für den „mißglückten Polizeieinsatz“ wurde der damalige SPD-Senat verantwortlich gemacht. Hans -Jochen Vogel verlor die Wahl. Gerüchte, nach denen die Polizeiführung Vogel damals ins offene Messer laufen ließ, verstummten nie. Die Polizeipressestelle wollte sich gestern zu den Vorwürfen nicht äußern.
ccm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen