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Fehlpaß in die Tiefe des Raums

■ Von Reinhard Hesse

ZU PFINGSTEN

Wollen wir - zumal Pfingsten, das liebliche Fest, eben hinter uns liegt - einen Blick auf den Zustand der Volksbelustigung in unsrem Land werfen und uns dabei einige gewagte Vergleiche gestatten? Gut. Stellen wir uns also vor, die Kirchenfürsten der beiden großen christlichen Konfessionen vereinbarten angesichts des bedrückenden Zuschauerschwundes in ihren leergepredigten Gotteshäusern, beginnend mit dem 3. Sonntag nach Trinitatis, einen ökumenischen Hin- und Rückspielmodus, bei dem im wöchentlichen Wechsel Katholiken und Protestanten Heimrecht für die Verabfolgung des Abendmahles genössen. Der Sieger würde jeweils von einer Jury fachkundiger Gastronomiekritiker ermittelt, bei Unentschieden wird 11 -Meter-Zieltaufen anberaumt, und am Ende der Saison flösse der Reinerlös aus aller Kirchensteuer dem siegreichen Hostienteam zu.

Wir mögen hier nicht gern unangemessen prophetisch erscheinen; aber eine solche Entscheidung würde die Künder der frohen Botschaft mit Sicherheit einigermaßen in die Schlagzeilen bringen - zumindest die Fernsehübertragungsrechte an besonders beliebten Hochämtern würden so attraktiv, daß RTL-Lahnstein sich die Angelegenheit einiges kosten lassen würde.

Daß Blutsensen wie Klaus Augenthaler, Irrläufer vom Schlage eines Wolfgang Rolff und selbstgetriebene Blindgänger wie Siggi Reich sowie der bedingungslose Wille zum torlosen Unentschieden die Stadien unserer Fußball-Bundesliga leergefegt haben, ist inzwischen bekannt. So leer, daß die Schatzmeister der Vereine auch an den schönen Millionen, die RTL-Lahnstein der Liga überwiesen hat, keinen rechten Gefallen mehr finden. Wenn dann noch unter den Blinden im Profifußball die einäugigen Sepplhosen vom FC Bayern so königlich auftreten, daß nur noch Gewaltschüsse aufs eigene Tor die drohende Meisterschaft verhindern können, hilft, das wollen wir einräumen, auch kein Gottvertrauen mehr. Und weil unser zähfließender Stop-and-go-Fußball eben keinen Ente Lippens mehr hervorbringt, der dem Schiedsrichter auf dessen Ansinnen „Ich verwarne Ihnen“ ein frohgemutes „Ich danke Sie“ entgegnet und der allein durch seinen Watschelgang an der Auslinie das Publikum zur Begeisterung hinreißt, sind die Verantwortlichen gefragt.

Der Mann, der in solchen Situationen die trübe Versammlung der Fußballvereinspräsidenten erleuchten kann, heißt Gerhard Mayer-Vorfelder und ist nicht nur Präsident des VfB Stuttgart und Vorsitzender des DFB-Ligaausschusses, sondern auch CDU-Kultusminister von Baden-Württemberg. (Um den guten Mann nicht fortwährend mit ollen Kamellen zu behelligen, geloben wir feierlich, daß hier zum letzten Mal erwähnt werden soll, wie sehr er sich um das Absingen des Deutschlandliedes in des Ländles Schulen verdient gemacht hat: Nie wieder so sachfremde Anwürfe, Mayer-Vorfelder, versprochen, denn im Stadion wird ja längst gesungen!)

Natürlich weiß der für die Bildung zuständige Minister, daß der erbarmungslose Unfug, den er im Namen der Liga dem Fußball verordnet hat, nicht funktionieren kann: Hin- und Rückspiel, wie beim UEFA-Pokal, in unmittelbarer Folge, wobei der „Gesamtsieger“ einen Sonderpunkt erhält und notfalls durch Elfmeterschießen ermittelt wird. Man kann sich schon vorstellen, mit welch atemloser Spannung das Volk an Rhein und Main die packenden Hin- und Rückduelle zwischen Waldhof Mannheim und dem VfL Bochum verfolgen wird - statt gut über die Saison verteilter Minusspiele nun wuchtige Doppelschläge vor leeren Rängen.

Diese Furcht allerdings scheint in der nun über uns hereingebrochenen Debatte um das Für und Wider der Mayer -Vorfelderschläge die geringste Rolle zu spielen. Vielmehr meldet sich, wie das in Fragen von übergeordnetem nationalen Interesse auch seine Richtigkeit hat, die Polizei zu Wort: Wenn Spiele wie das jüngste Pokalhalbfinale zwischen Stuttgart und Dortmund, die nur mit einiger Nachhilfe durch den Schiedsrichter zugunsten der Heimmannschaft zu entscheiden waren, in der Folgewoche auf des Gegners Platz wiederholt würden, könnte es eigentlich nur zu Begleiterscheinungen von Zeter und Mordio bis Mordio und Totschlag kommen.

Das rührt zweifellos an den Nerv der Sache, denn nur wo gekloppt wird, macht der Fußball, der als Zirkusnummer ohnehin nicht mehr taugt, den Leuten noch rechten Spaß. Bei den Müncher „Löwen“ von 1860 ist es seit Jahr und Tag guter Brauch, den Bus der unterlegenen Mannschaft bei der Abfahrt ordentlich mit Steinen einzudecken.

Da wir jedoch nun einmal gesellschaftlich übereingekommen sind, Hooliganism, wie er an diesem Wochenende unter Hinterlassung von 16 Verletzten in London wieder mit zählbarem Ergebnis praktiziert wurde, als rohe und unkultivierte Form der Volksbelustigung zu ächten, bleibt nur eine Lösung - und wir haben einigen Grund zu der Annahme, daß Mayer-Vorfelder mit seinem Abstoß genau jene Standardsituation herauszuspielen trachtet: Fürderhin wird an Samstagen nur noch ein (in Zahlen: 1) Bundesligaspiel vor Zuschauern ausgetragen, alle andren Partien finden in geschlossenen Arenen statt und werden in Ausschnitten vom meistbietenden Privatsender übertragen. Das jeweilige Stadion wäre garantiert voll, die fehlenden Einnahmen der anderen gleicht das TV aus (vielleicht gewinnt RTL-Lahnstein ja demnächst bei 6 aus 39). Auch für hinreichende Gewalt wäre gesorgt, wie die doch ganz beachtliche Anzahl der Ehedramen, Selbstmorde und Herzinfarkte bei TV-live -Übertragungen belegt.

Mayer-Vorfelder hat den Weg für diese Lösung bereitet. Zwar sind die Stadien immer noch leer, aber über die Bundesliga wird so viel geredet, daß die Preise für Fernsehrechte jetzt angemessen in die Höhe schnellen können.

Wie ernst die Fußballer ihre Verantwortung für Wohl und Wehe des Landes nehmen, hat dem Stuttgarter Minister ausgerechnet die lokale Konkurrenz am Pfingstsamstag bewiesen: Völlig unbeeindruckt vom so gut wie sicheren Abstieg ihres Teams wuchteten die Stuttgarter Kickers dem Tabellenführer Bayern München zwei Pflaumen ins Netz und ermöglichten damit das so herbeigesehnte „Endspiel“ zwischen Köln und München am Fronleichnamstag (für die neuerliche Kirchen-Parallele können wir wirklich nicht). Ein bis dato völlig unbekannter junger Mann hat die Kölner auf einen Punkt an die Bayern herangebracht. Er heißt Schüler und einzig das dürfte seinen Minister Mayer-Vorfelder nachhaltig vergrätzt haben - schoß mit links.

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