: „Daß man sozusagen unberechenbar bleibt“
■ Ein Jahr „Spiegel-TV“ - ein Interview mit Chefredakteur Stefan Aust
taz: Nach einem Jahr „Spiegel-TV“ - wie sehen Sie die Bilanz des politischen Magazins auf privaten Kanälen?
Stefan Aust: Wir haben mit Zuschauerzahlen von durchschnittlich 200.000 pro Sendung angefangen. Das hat sich kontinuierlich gesteigert. Seit Anfang diesen Jahres liegen wir nun im Schnitt bei etwas über einer Million. Wobei dies nur die Zahlen von RTL sind, von Sat, wo wir am nächsten Tag eine gekürzte Fassung wiederholen, kommen ungefähr noch jeweils 200.000 bis 300.000 Zuschauer dazu. Wenn man berücksichtigt, daß wir aus Frequenzgründen nur etwa ein Drittel der Bevölkerung erreichen können, dann würde das etwa drei Millionen Zuschauern bei öffentlich -rechtlichen Magazinen entsprechen - und das ist wirklich sehr gut.
Haben Sie damit Ihr Plansoll erfüllt?
Ich will nicht sagen, daß ich genaue Zahlen im Kopf hatte. Dafür war auch zu unklar, wie sich die Sender-Reichweiten entwickeln würden. Aber ich bin immer davon ausgegangen, daß man mit einem politischen Magazin sehr gute Zuschauerzahlen erreichen kann. Man muß dazu sagen, daß die privaten Sender auch mit Spielfilmen häufig keine wesentlich höheren Zuschauerquoten erreichen.
Falls es ein Motto von „Spiegel-TV“ gäbe, wie würde das lauten?
Ich würde mal sagen: a) konsequent Fernsehen zu machen, also Geschichten mit Bildern zu erzählen, und b) konsequent politisch und engagiert, aber nicht ideologisch festgelegt zu sein. Also zu versuchen, unabhängigen und kritischen Journalismus zu machen.
Wieweit sehen Sie sich in der Tradition öffentlich -rechtlicher Magazin-Sendungen? Wo liegen konzeptionelle Unterschiede?
Wenn, dann sehe ich Spiegel-TV am ehesten in der Tradition des alten Panorama. Wobei es eine grundlegend unterschiedliche Basis gibt: Wir senden jede Woche und können auf Themen aktuell eingehen, die den öffentlich -rechtlichen Magazinen, die ja nur alle fünf Wochen senden, entgehen. So können wir auch interessante Themen machen, die nicht diese Art von „Wichtigkeit“ haben, wie sie bei den anderen Magazinen sehr häufig im Vordergrund steht.
Welchen Platz hat „Spiegel-TV“ in der „Spiegel„-Hierarchie: Bekommen Sie die Krümel vom Themen-Tisch oder gilt die Sendung als Renommierstück, dem die schreibenden Kollegen zuarbeiten?
Weder noch. Wir sind nicht der Chefredaktion unterstellt, sondern der Geschäftsleitung. Das heißt, wir bestimmen über unser Programm selbst. Natürlich gibt es einen Informationsaustausch und viele Themen, bei denen wir eng zusammenarbeiten. Aber in unserer Themenfindung sind wir unabhängig. Wir sind zwar klein, aber doch selbstständig.
Wie fühlt man sich bei einem Privatsender aufgehoben: als alibinöses Feigenblatt im Infotainment, als 'Spiegel' -Beilage in einer 'Bild am Sonntag‘?
Es gibt sicher manchmal Situationen, in denen ich mir Teile des Programmumfelds anders vorstellen könnte. Aber das war früher, als ich Redakteur bei Panorama war, auch nicht so sehr viel anders. Wir sind für unseren Bereich verantwortlich und die Kollegen von RTL für ihren. Es stört mich nicht besonders, was da sonst läuft. Obwohl es mich selbstverständlich immer freut, wenn sich Tendenzen zeigen, die Gesamtqualität des Programms journalistischer und interessanter zu machen. Wie mit Explosiv oder der Talkshow Die Woche bei RTL.
Wie sehen die Arbeits- und Produktionsbedingungen aus: Es heißt, Sie hätten in der Anlaufphase einen unbegrenzten Etat?
Nein, es ist keinesfalls so, daß wir aus dem Vollen schöpfen könnten. Und zwar ganz bewußt, weil sonst niemals Aussicht bestünde, daß sich das Ganze irgendwann tatsächlich tragen kann. Ich glaube, es ist auch sehr gut und sehr lehrreich, wenn man rechnen muß. Wir sind gut ausgestattet, aber wir geben nicht mehr aus als die öffentlich -rechtlichen. Ich würde sagen, eher weniger.
Dennoch verblüffen die zahlreichen Schauplätze, die Sie häufig ins Bild bringen. Ein Drehaufwand, der nicht ganz billig sein dürfte.
Das ist eine Frage der Prioritäten und wie intelligent man das Geld einteilt. Wir haben es auch schon fertiggekriegt, daß ein Redakteur mit einer Amateurkamera sein Interview in Costa Rica selbst aufgenommen hat. Oder, der Waffenhändler aus einer der letzten Sendungen wurde ebenfalls mit einer Viedeokamera aufgenommen.
Wie man hört, stehen die Mitarbeiter unter ziemlichem Arbeitsdruck.
Mit Sicherheit. Der Arbeitseinsatz hier ist um Klassen größer als bei einer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Wir haben bisher fast alle sieben Tage die Woche gearbeitet und das oft bis tief in die Nacht. Im Augenblick hat sich das ein bißchen verbessert. Mit acht festen Leuten sind wir inzwischen eine wohlausgerüstete Redaktion. Und die jüngeren, die bei uns angefangen haben, sind viel routinierter und professioneller geworden.
Was bedeutet der Grimme-Preis für „Spiegel-TV“?
Das war schon eine große Ermunterung, über die wir uns auch sehr gefreut haben. Das ist der wichtigste Fernsehpreis, und es ist das erste Mal, daß er an privates Fernsehen vergeben wurde. Das ist auch eine Sicherung unserer Position, nach außen wie nach innen.
Für unverkabelte Zuschauer: Gibt es einen Manuskript- oder Videoaufzeichnungsdienst?
Wir machen Videoaufzeichnungen, aber eben nicht so wahnsinnig gern, weil das sehr arbeitsaufwendig ist. Und dann auch nur gegen Kostenerstattung. Aber die Manuskripte kann man jederzeit bekommen.
Perspektivisch: Was soll sich ändern, verbessern?
Verbessern soll sich natürlich kontinuierlich unsere Qualität. Beibehalten wollen wir unser breites Themenspektrum von Außenpolitik bis zu Zeitgeist -Geschichten. Ich möchte gern, daß der Zuschauer gelegentlich auch überrascht ist. Daß er sagt: „Dieses Thema hätte ich mir in diesem Magazin nun wirklich nicht vorstellen können.“ Ich finde es wichtig, daß man sozusagen unberechenbar bleibt
Dieter Oßwald
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