: Ungarns Blaue freuen sich
■ Baustopp des Wasserkraftwerks in Nagymaros von CSSR bekämpft
KOMMENTAR
Zwar sind noch nicht alle Hürden genommen. Die angesetzten Expertenanhörungen täuschen jedoch eine scheinobjektive Entscheidungsfindung vor: ähnlich wie beim deutschen Wackersdorf dürfte auch für das ungarische Wahnsinnsprojekt an der Donau das Aus schon gekommen sein. Denn anders als bei den Parlamentsdebatten im vorigen Jahr, als noch die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten trotz einiger Gegenstimmen für das Projekt stimmte, geht es heute mehr oder weniger nur noch um die Formalitäten, den Abschied von den Großstromträumen ohne allzugroße Schrammen für die Regierung abzuwickeln.
Deren Popularität würde bei einem endgültigen Schlußstrich unter den Expertentraum von Nagymaros sicherlich nicht leiden. Würde sie doch damit demonstrieren können, daß sie ein Ohr für die Sorgen ihrer Bürger hat. Für die ungarische Umweltbewegung aber ist der Baustopp schon jetzt ein großer Erfolg. Und für Janos Vargha, der die „Blauen“ gegründet hat, ist er ein persönlicher Triumph. Jahrelange Überzeugungsarbeit, die Gründung der ersten, damals illegalen, unabhängigen Umweltorganisation in Osteuropa, die Initiierung von neuen, vormals in Ungarn undenkbaren Aktionsformen wie Unterschriftensammlungen und Demonstrationen, haben Tabus gebrochen, ohne die der ungarische Frühling in der jetzigen Form nicht möglich gewesen wäre.
In den nächsten zwei Monaten werden die Kritiker noch einmal alle Argumente gegen das Projekt auftischen müssen, um die endgültige Entscheidung zu erreichen. Von der Zerstörung des letzten Stücks der „wilden Donau“ mit ihren Auwäldern und einzigartigen Fauna, von der Gefahr für das Grundwasserreservoir für 10 Millionen Menschen durch die geplanten riesigen Stauseen, von dem finanziellen Bürden für Ungarn durch das riesige Projekt, wird da die Rede sein. Auch von der Abhängigkeit zu Österreich und dem Konflikt mit der CSSR wird nocheinmal gesprochen werden.
Aus diesen Ländern droht nach wie vor der größte Widerstand gegen den Stopp des Baus. Es war zwar schon ein starkes Stück, wie die österreichischen Banken 1987 einsprangen, als die ungarische Regierung - damals aus rein finanziellen Gründen - schon einmal aufgeben wollte. Nachdem die Demonstrationen in der „Au“ das eigene Wasserkraftwerk bei Hainburg zu Fall brachten, suchte die österreichische Betonfraktion nach einem neuen Geschäft. Und es ist auch heute nicht anzunehmen, daß die österreichischen Banken sich mir nichts dir nichts die Butter vom Brot nehmen lassen, verdienen sie doch an dem an Ungarn gewährten Kredit gleich in mannigfaltiger Weise. Österreichische Firmen sind zu 70 Prozent am Bau in Nagymaros beteiligt und die Alpenrepublik sollte gar bis zum Jahr 2015 den Löwenanteil des Stroms des Wasserkraftwerks erhalten. Wenn das nun alles wegfällt, könnte dies manchem „Mitteleuropäer“ im Wiener Regierungsfilz die jetzt heftig sprießenden K. u.K.-Träume vermiesen. Doch mit den vielfältigen Investitionenmöglichkeiten in Sachen Weltausstellung 1995 könnten die Österreicher vielleicht doch beruhigt werden.
Pikanter wird der Streit Ungarns mit dem „Bruderland“ CSSR. Das Konzept des Flutwellenkraftwerks bei Gabcikovo, das schon zum großen Teil gebaut ist, steht und fällt mit dem Projekt Nagymaros. Es beruht darauf, die Donau für mehrere Stunden am Tag „anzuhalten“, um dann mit Hilfe des starken Gefälles 700 Megawatt Strom im „Schwellbetrieb“ zu erzeugen. Um die anschließende Flutwelle zu kontrollieren, ist ein zweiter Stauraum nötig, eben der von Nagymaros.
Die CSSR-Regierung reagierte schnell. Die Entschädigungsforderungen sind schon auf dem Tisch. Und die reformunwillige CSSR-Führung wird nichts unversucht lassen, die ungarischen Reformer als vertragsbrüchige Gesellen vor den sozialistischen Pranger zu stellen. In Prag klingen noch die Interviews mit dem verfemten ehemaligen Parteichef Alexander Dubcek in den Ohren, die der ungarische Rundfunk in den letzten Wochen ausgestrahlt hat. Doch ist es wohl keine Frage mehr: Die Befriedungsstrategie im Innern ist der ungarischen Führung wichtiger als eine sensible Antwort auf die Kritik aus Prag.
Erich Rathfelder
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