piwik no script img

„Wir wollen wie Menschen behandelt werden“

■ Nichtseßhafte aus Osnabrück machen einen „Betriebsausflug“ und besuchen mit Franziskaner-Bruder Otger die Hansestadt Bremen / Ihr Zuhause ist die Wärmestube im Kloster / Für fünf Mark Eigenbeitrag mit dabei

„Ich bin eine Rarität“, sagt Joseph, genannt „Icke“, und meint es doch ganz anders: Seine Lebensgeschichte gleicht der von vielen. Immer mehr Frust ließ Joseph immer öfter zur Flasche greifen. Scheidung! forderte bald drauf die Frau, und Joseph stand alleine da. Nur noch mit Flasche. Bald auch ohne Job, und wenig später ganz auf der Straße. „Der Weg nach unten ist leicht“, faßt Franziskaner-Bruder Otger zusammen, was dem Schicksal seiner Schützlinge gemeinsam ist. „Icke“, wohnungs-und arbeitslos, und Bruder Otger kennen sich nun fast zehn Jahre. Solange besteht schon die Wärmestube im Franziskaner-Kloster in Osnabrück, wo Bruder Otger lebt und Menschen wie Joseph K. zumindest tagsüber ein Zuhause bietet.

Morgens um sieben stehen meist schon die ersten zehn vor der Tür. Dann verteilen die Franziskanerbrüder Frühstück: Brot und Butter und Marmelade und Kaffee. „Ein ganz normales ordentliches Frühstück“, erzählt Bruder Otger. „Ich kann den Menschen doch kein anderes anbieten als das, was ich selbst mir nehme.“ Ein Satz, der für die grundsätzliche Haltung der Franziskaner zu ihrer Wärmestube steht: „Die Menschen sollen sein,

was sie sein möchten.“ Umerziehungsprogramm? - Um Gottes willen: Nein. Bruder Otger weist die Frage mit Nachdruck zurück. „Wir wollen den Menschen äußere und innere Wärme geben.“ Erziehungsprogramme überläßt er den Sozialarbeitern.

Ganz anders sei es da schon,

mit Sozialarbeitern, Beratungsstellen und Ämtern zusammenzuarbeiten, wenn es darum geht, einem Hilfesuchenden Wohnung oder Job zu suchen.

Der Teufelskreis ist hinreichend bekannt: Ohne Wohnung kein Job, ohne Job keine Wohnung, ohne Adresse keine Sozial

hilfe. Und egal, was zuerst da war: meist mischt der Alkohol gehörig mit. Als Albert F. vor drei Jahren in der Wärmestube des Klosters auftauchte, war er noch arbeits-und wohnungslos und ständig „unter Strom“. Albert machte eine Entziehungskur. Wie es scheint, erfolgreich. Bruder

Otger verschaffte ihm eine ABM-Stelle im Kloster. „Albert war zu jeder Arbeit bereit. Er half überall: in der Küche, im Garten ... er wurde voll in den Klosteralltag einbezogen.“ Noch immer ist Albert „trocken“. Noch bezieht er Arbeitslosengeld, weil die ABM-Maßnahme ausgelaufen ist. Und noch hat Albert eine Adresse im Kloster. Seit drei Jahren führt sein Weg ein Stück weit nach oben. Das Ende ist ungewiß.

Joseph K., der schon seit neun Jahren die Wärmestube zum Aufwärmen, Duschen, Mittagessen nutzt, der hier wie alle anderen auch frische Wäsche in der Kleiderkammer findet, beschäftigt sich neuerdings auch in der klostereigenen Töpferei: „Das ist natürlich nix Dauerhaftes“, gesteht der gelernte Glockengießer. - Was er sich wünscht für die Zukunft? „Eine eigene Bude“, kommt die Antwort prompt.

Joseph alias „Icke“ hatte bis vor wenigen Jahren ein Zimmer mit Kochplatte. „Als mir einmal 100 Mark fehlten, wurde gekündigt.“ Natürlich hätte die Beratungsstelle der Kirche geholfen. Aber dann hätte Joseph sein gesamtes Sozialhilfegeld abgeben, ein Taschengeld in Raten abholen sollen, so erzählt er enttäuscht. „Wenn das nicht auf gegenseitiges Vertrauen geht, dann laß ich's lieber“, so Icke. Seitdem schläft er wieder draußen und kämpft gegen seinen Hang zur Flasche an. Auch er hat eine Adresse im Kloster, obwohl er sich dort nur tagsüber aufhalten kann. Sein Geld liefert Icke bei „Pater Brown“ ab, wie Bruder Otger liebevoll genannt wird: Der soll es für ihn verwalten, damit er nicht wieder 1.300 Mark in einer Woche durch

die Kehle jagen kann.

Franziskanerbruder Otger genießt das Vertrauen der „Leute in sozialer Not“, die er niemals als „Penner“ stigmatisiert sehen möchte. Bruder Otger nimmt sie, wie sie sind. Nur Alkohol ist strikt verboten. „Manchmal muß ich auch Hausverbot erteilen, damit die Kerle dies einsehen“, erzählt der Klosterbruder. 60 bis 70 Frauen und Männer, manche nach jahrelangem Psychiatrieaufenthalt plötzlich auf der Straße, kehren tagtäglich im Kloster ein. Inzwischen unterstützen ehrenamtliche BürgerInnen die Arbeit der Wärmestube: Jeden Tag kommt ein 35 Liter-Topf Eintopf auf den Tisch, werden 5 Kilo Aufschnitt verarbeitet, 20 Liter Kaffee gekocht. Bäcker und Metzger helfen dabei tagtäglich mit Spenden. Spülen, Aufräumen, Putzen erledigen die Wohnungslosen selbst.

Arbeiten aus ihren Bastelgruppen werden auf Basaren und Festen verkauft. Damit wird die Arbeit der Wärmestube mehr ideell und ein wenig finanziell unterstützt. So lernte auch die Bremer Kolpingfamilie die Wärmestube in Osnabrück kennen und lud sie spontan nach Bremen ein. Gestern war Bruder Otger mit einem Reisebus seiner Schützlinge in Bremen: Museumsbesuch, Stadtrundgang und Hafenrundfahrt standen auf dem Programm. Chic und sauber war die Reisegruppe, die im Touristenstrom im Schnoor gar nicht auffiel: Duschen und Griff in die Kleiderkammer waren tags zuvor selbstverständlich. Das Mittagessen in Bremen hatte eine Kolpingfrau gespendet.

Birgitt Rambalsk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen