: Vom 'abstrosi‘ bis zur 'Endstation Terminal‘
■ Studentenpresse - ein undankbares Geschäft / Der Leser hat die Wahl zwischen Bleiwüsten und Hochglanzwerbeträgern / „Ich lese so was grundsätzlich nicht“ / Die MacherInnen der phantasievoll betitelten Medienprodukte ernten mit ihrer Arbeit nur wenig Ruhm
Sie werden einem in die Hand gedrückt, liegen häufig in den Fachbereichen aus oder stapeln sich in zentralen Universitätsgebäuden und vor den Mensen, zumeist sind sie kostenlos: Uni- und Fachbereichszeitschriften, die Gazetten für Studenten.
Der Blätterwald an den Hochschulen ist ebenso buntscheckig, wie sein Nutzen unter den StudentInnen umstritten ist. Einen vollständigen Überblick über den vielfältigen, prächtigen und schnellebigen Markt hat wohl niemand. Die Gazetten reichen vom bundesweiten Hochglanzwerbeträger in sechsstelliger Auflage ('Unicum‘ und 'Uni-Journal‘) bis zum engagierten, in Ein-Personen-Regie hergestellten wöchentlichen Mitteilungsblatt, wie beispielsweise dem 'Lankwitz Telegraf‘, der bei den FU-Publizisten in einer Auflage von 500 Exemplaren erscheint.
Das Rückgrat der Unipresse bilden die mehr oder weniger regelmäßig erscheinenden Fachbereichszeitungen der Studenten. Sie tragen phantasievolle Namen wie 'abstrosi‘ (FU-Politologen), 'ET‘ - Endstation Terminal (TU -Informatiker), 'Odios‘ (FU-Publizisten) oder 'Klärwerk‘ (TU -Umwelttechniker).
Gedruckt wird zumeist beim Asta. Die Macher sind häufig Mitglied der jeweiligen Fachschaftsini. Ihre Arbeitsleistung ist enorm: Zumeist tagen die Redaktionen wöchentlich, es muß recherchiert und geschrieben werden. „Dafür geht in der Regel das ganze Wochenende drauf“, berichtet Marc vom 'Lankwitz Telegraf‘.
Der Ruhm, den die Zeitungsmacher ernten, ist gering. Zur kulturellen Institution konnten die zahlreichen Publikationen an der Uni nie so recht avancieren. „Die Zeitungen werden höchstens beiläufig zur Kenntnis genommen, das erkennt man beispielsweise an den fehlenden Leserbriefen“, lautet eine bittere Einschätzung. In den Mensen und Kantinen wird eher zur Tageszeitung als zur Studentenpresse gegriffen. „Ich lese so was grundsätzlich nicht“, begründet eine Studentin ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Zeitschriftenangebot an der Uni. „Mich interessiert Hochschulpolitik nicht.“ Häufig wird die Unlesbarkeit der „Bleiwüsten“ oder der „geringe Unterhaltungswert“ der Studentenzeitungen beklagt. Im Ansehen vieler rangieren sie auf dem Niveau eines Flugblatts. Daran gehen sie naserümpfend vorbei.
Manche Studenten sehen das natürlich anders: Für sie sind vor allem die jeweiligen Fachbereichszeitschriften eine unerläßliche Informationsquelle, wenn sie sich über das Fachbereichsgeschehen auf dem Laufenden halten wollen. „Wenn's unsere Zeitung nicht geben würde, hätten wir überhaupt keine Öffentlichkeit und Kontrolle der Profs am Fachbereich“, begründet ein studentischer Zeitungsmacher die Notwendigkeit seiner Arbeit.
Etwas Bewegung in die Lesekultur der Studenten hat unzweifelhaft der Hochschulstreik im letzten Wintersemester gebracht. Von der Popularität der Streikzeitungen 'Besetzt‘ und 'Lieblingszeitung‘ erhofften sich so manche studentische Redaktionen einen Auftrieb ihrer Arbeit. Während des Streiks waren viele mangels Druckkapazitäten eingestellt worden.
Doch das generelle Problem der Studenten-Zeitungen, „ihre rummotzerische Art und daß sie nicht sonderlich in die Tiefe gehen“, bleibt. Wie erfrischend da andere Konzepte sein können, hat das Beispiel 'Kassandra‘ gezeigt. Von Ende 1984 bis zum Sommer 1986 boten Studenten der TU, FU und HdK in dieser Zeitschrift ein kritisches Hochschul- und wissenschaftspolitisches Forum für Studenten, wissenschaftliche und sonstige Mitarbeiter und Professoren. Inhaltliche wie auch gestalterische Qualität brachte 'Kassandra‘ auch die Beachtung anderer Medien wie der 'Frankfurter Rundschau‘, des 'Stern‘ und von „Radio Bremen“. Ein Beirat von Journalisten, Professoren und Gewerkschaftern stand als Ideengeber zur Seite. Von den Asten der FU und TU wurden feste Stellen und ein Teil der Produktionskosten finanziert.
Gescheitert ist die Zeitschrift dennoch an den Finanzen: „Zwar war die Wirkung der Zeitschrift groß; sie wurde viel gelesen und in Seminaren und akademischen Selbstverwaltungsgremien über ihre Artikel diskutiert, doch nicht entsprechend verkauft. Die betriebswirtschaftliche Seite des Projekts haben wir leider allzuoft zugunsten inhaltlicher Diskussionen vernachlässigt, weil wir uns durch die Asta-Finanzierung sicher fühlten“, erinnert sich ein ehemaliger 'Kassandra'-Mitarbeiter. Die verkaufte Auflage kam nicht über 1.500 Stück hinaus. Ein möglicher Grund: der Preis. Immerhin kostete sie sechs beziehungsweise drei Mark für Studenten.
Ein ebenbürtiger Nachfolger ist bis heute nicht in Sicht. Seit Anfang 1988 geben zwei Studenten die Zeitschrift 'Unisono‘ Berlin-weit heraus. „Die Zeitschrift soll die Marktlücke eines unabhängigen, hochschulübergreifenden Blatts füllen und sich vor allem durch die äußere Gestaltung unterscheiden“, so einer der beiden Herausgeber. Finanziert wird 'Unisono‘ ausschließlich durch Anzeigen. Die beiden Redakteure können davon nicht leben. Sie betreiben nebenbei eine Mitwohnzentrale.
Inhaltlich anspruchsvoller ist die studentische Vierteljahreszeitschrift 'Con-Fusion‘, die sich fachübergreifend bestimmten Themenschwerpunkten widmet. Finanziert wird sie durch den Verkaufspreis von zwei Mark und durch die studentischen Redakteure. Wissenschaftspolitisch interessant ist vor allem die hochschulpolitische Reihe des 'AZ-Magazins‘ des FU-Astas, die in unregelmäßiger Folge erscheint.
Fazit: Studentenpresse ist ein undankbares Geschäft. Einige wenige hochschulpolitisch engagierte Studenten versuchen, die Masse ihrer Kollegen für die Lernstätte Universität zu interessieren, und müssen dabei immer wieder die Erfahrung machen, daß die Politisierung über andere Kanäle läuft.
Thomas Werres
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