: STABSCHWENKERS SCHLAFLIED
■ Das RIAS-Jugendsymphonieorchester im Kammermusiksaal
Es muß schon etwas Außergewöhnliches zu erwarten sein, wenn ein gutes Orchester solche gewöhnlichen Stücke aufs Programm setzt. Der Dirigent vielleicht, mit einer extravaganten Interpretation?
Hans-Martin Linde dirigierte am vergangenen Dienstag das RIAS-Jugendsymphonieorchester mit Werken von Bach, Mozart, Haydn und Gossec im Kammermusiksaal. Dieses Orchester ist sehr viel stärker als die etablierten Berliner Orchester äußerst begeisterungsfähig und damit auch abhängig von der Ausstrahlung und Probenintensität des jeweiligen Stabschwenkers - schon deshalb, weil es keinen festen Dirigenten hat.
Doch es wurde ein langweilendes Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Dirigent nicht das Orchester, sondern das Orchester den Dirigenten an die Hand nehmen muß. Sowas geht ins Hemd: Der Dirigent mag das nicht, das Orchester kann es nicht.
Als sie mit der Orchestersuite Nr.4 D-Dur von Bach anfangen, scheint noch einiges möglich. Zu einem wohlig summenden Streicherklang knallen hallig die kleinen Bachtrompeten. Sie brauchen zwar die ganze Suite, um einigermaßen in Schwung zu kommen, aber beim letzten Satz „Rejouissance“ ist das Innenleben dieses fetzigen Tanzstücks halbwegs aufgewacht. Zuvor aber hat sich bereits die Schlafkrankheit angekündigt, die den Rest des Konzerts bestimmt. Dirigent Linde beeindruckt durch eine stupende Unentschlossenheit. Jede zaghafte Andeutung von aggressivem Spiel entpuppt sich durch postwendend folgenden Rückzug als Irrtum; Stakkati sind prägnant, aber weich, Punktierungen von bieder-braver Korrektheit. Ein Spiel ohne Markanz. Linde, der sich schon wegen seines eigenen Instruments (Flöte) mit alter Musik beschäftigen müßte, bringt es fertig, den Streicherinnen „alte Spielweise“ (Barockbogenhaltung, leere Saiten) vorzuschreiben, in der musikalischen Interpretation aber jede Aussage zu verweigern.
Diese unerträgliche Seichtigkeit kommt bei Mozarts Konzert für Flöte, Harfe und Orchester C-Dur voll zur Entfaltung. Die Komposition selbst ist nicht gerade ein Highlight des verklärten Klassikers. Mozart hatte keine Beziehung zu Flöte und Harfe und mußte das Stück für eine ihn nervende Schülerin schreiben. Die SolistInnen des Abends - Linde selbst flötet, Helga Storck harft - stehen dem Stück nicht nach. Während Helga Storck, die ihr Handwerk mit vehementen Ganzkörperaktionen ausführt, kaum zu hören ist, spottet Linde seiner eigenen Beschreibung im Programmheft als „einer der anregendsten Spieler von Quer- und Blockflöte“. Steifbeinig und schulterfest bläst er sein Rohr, mit wenig Vibrato (das wird dafür vom Orchester übertrieben) und schlechter Intonation. Rätselhaft, warum er als Solist die Satz-Schlüsse auch noch dirigieren will, die dadurch wie abgebissen klingen.
Als drittes Stück wird die Symphonie D-Dur des Franzosen Francois-Joseph Gossec gespielt. Gossec, der große Unbekannte, war musikalisch ein eifriger Nachahmer politisch war er ein Enthusiast: Seit der Französischen Revolution soll er begeistert Revolutionsopern und -lieder geschrieben haben. Doch da er das Pech hatte, die Marseillaise nicht zu vertonen, blieben seine Ergüsse unbekannt. Die Symphonie beschränkt sich auf endlose Quintschrittsequenzen und gähnende Tonleiterseligkeit. Beim interessanten Fugen-Teil ist das Orchester bereits eingeschlafen: Immer häufiger fallen sie auseinander, spielen unsauber.
In den schnellen Sätzen der Symphonie Nr.91 Es-Dur von Haydn schließlich kann sich das Orchester in Zeitlupe noch einmal austoben. Aber insgesamt ist die Ausdruckslosigkeit geradezu penetrant: Das viel zu langsame Tempo erweist sich immer wieder als Tod im Topf, Lindes Umgang mit der Dynamik ist in allen Stücken von miserabler Indifferenz. Was soll man dazu sagen? Fragen wir Mozart: „Poz Himmel Tausend sakristey, Cruaten schwere noth, teüfel, hexen, truden, kreüz-Batallion und kein End, Poz Element...“ usw. (Brief v. Nov. 1777)
Christian Vandersee
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen