: REVOLUTIONSPARK
■ Wo einst die Königskinder spielten schnuppert man heute die alte Zeit
Die Revolution, was ist das?“ fragt die junge Revolutionstouristin und erhält prompt eine Antwort. „Vor der Revolution hatte der König alles und das arme Volk nichts, und nach der Revolution war der König tot, und das arme Volk hatte alles.“ Es spricht Thomas Paine, der große Revolutionär aus England, denn im „Disneyland der Revolution“ ist er wieder auferstanden. Schmuck sieht er aus, und schmuck ist er im alten Stil gekleidet. Er redet ganz im Original: „In einem freien Land gibt es keine Ausländer.“ Das gefällt meiner zehnjährigen Begleiterin: „Ein toller Mann.“
Ältere Revolutionstouristen brauchen keinen Freizeitpark, um Thomas Paine oder Maximilian Robespierre kennenzulernen sie gehen lieber ins Museum. Wir aber finden Museen langweilig und gehen in die „Tuilerien '89“, so nämlich heißt das Halb-Staats-, Halb-Privatunternehmen, das im alten Pariser Schloßgarten seine Zelte aufgeschlagen hat. Denn welch schöneren Ort könnte es geben, um die Revolution kennenzulernen, als den Garten, wo einst die Königskinder spielten? Nur umsonst kommt man nicht rein, aber die teuren Eintrittspreise bezahlen ja die Eltern.
Falls denen die 20 Mark zu teuer sind, sollten sie sich merken, was ihnen der französische Regierungschef Michel Rocard zum Freizeitpark erzählt hat. Hier gäbe es „die Möglichkeit zu einem Gespräch zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, sagte Kindervater Michel, als er den Park zum Eröffnungsrundgang vor einer Woche besuchte. Grund genug also auch für jedes gute Elternpaar, diese Möglichkeit nicht zu verpassen.
Haben wir es dann endlich geschafft, alle Tickets für Kino, Aufführungen usw. zu besorgen, dann gehen junge RevolutionstouristInnen am besten gleich zu den Robotern. Schnell und verständlich erzählen die Roboter während ihrer Aufführung das ganze Revolutionsgeschehen. Da steht ein alter Landstreicherroboter auf der Bühne, der zu seinem Affen spricht, den er auf der Schulter trägt. Und er erzählt, wie er damals in Paris Station gemacht hat und wie das Volk den König gejagt hat. Dazu gibt es bunte Bilder auf der Leinwand und noch ein paar andere Roboter aus der Revolutionszeit, einen Richter zum Beispiel mit der Guillotine und einen kleinen Jungen, der ein Freiheitsbäumchen pflanzt.
Jedenfalls hat mein zweiter Begleiter, ein zwölfjähriger Revolutionstourist, nach der Robotershow allerhand von der Geschichte gelernt: „Erst sind die Franzosen alle nach Paris gewandert und haben sich dort getroffen. Dann haben sie beraten, wie man die Sachen besser machen kann, und man dachte, die Revolution ist vorbei. Aber dann haben sich die Feinde und Freunde des Königs bekriegt. Die Leute, die den König umbringen wollten, haben gewonnen, und der König wurde umgebracht. Dann haben die Leute Bäumchen für die Freiheit gepflanzt, und daraus ist heute ein Wald geworden.“ So berichtet der junge Revolutionstourist. Er hat aber auch gehört, wie es zum Schluß Geräusche von Motorsägen im Wald der Freiheitsbäume gab.
Im Kino des Revolutionspark können wir Paris sehen, wie es vor 200 Jahren aussah. Es sei zwar etwas „kitschig“, sagt meine zehnjährige Begleiterin, aber immerhin sei es ein guter Zeichentrickfilm. Man sieht die armen und die reichen Leute von Paris und das große, unheimliche Gefängnis, die Bastille. Die junge Revolutionstouristin kann „verstehen“, warum die Leute damals diesen Bau abreißen wollten.
Zwischen Kino und Robotertheater ist der Park weniger interessant. Verkleidete Frauen verkaufen Andenken und blau -weiß-rote Blumen in kleinen Plastikbuden. Doch auf dem Feuerzeug, das angeboten wird, ist auch hier nur der Eiffelturm abgebildet. Kurz: „Die Sachen zum Kaufen sind langweilig“, wie der junge Revolutionstourist feststellt. Das sollte allen Eltern nur recht sein. Allerdings ist auch die Limonade schlecht und teuer. Gott sei Dank treffen wir dann Thomas Paine und Genossen. Sie stehen auf kleinen Stehbühnen und halten die großen Reden der alten Zeit. „Die Männer haben sich als Revolutionäre verkleidet und das gespielt. Das haben sie echt ganz toll gemacht“, sagt meine junge Begleiterin später. Sogar jener Marat spricht im Revolutionspark, von dem ich zuvor erzählte, daß eine Frau ihn in der Badewanne erstach. Insofern ist der Mann interessant.
Zum Ende des Besuchs machen wir noch einen Rundgang durch ein „Geisterhaus der Geschichte“. Hier gibt es Pappmauern und ausgestopfte Figuren in dunklem Licht und mit geheimnisvoller Bedeutung. Ein Dinosaurier steht da, und hinter ihm Berge von Büchern, deren Schatten die Silhouette einer modernen Großstadt am Himmel zeichnen. Das soll wohl heißen: Von der Urzeit über die Aufklärung mit Büchern bis zum heutigen Tage - junge RevolutionstouristInnen brauchen so viel Symbolik nicht. Sie rennen - raus aus dem Geisterhaus - schnell wieder ins Freie.
Große Ereignisse lassen sich nicht vereinfachen, denn sie sind einfach. Große Ereignisse bedürfen keiner Symbolik, um spannend zu werden. Deswegen ist alle Symbolik im Revolutionspark Quatsch. Und um Quatsch kümmern sich vor allem Kinder nicht.
Georg Blume
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