Stadt-Mitte: T E R R O R F Ü R E I N E M I N U T E

Man kann die Avus mit 100 Stundenkilometer fahren oder aber mit 130 km/h, der zeitliche Unterschied macht eine Minute aus. Man kann also, wenn man die tückischen Absichten der Stadtregierung erfolgreich hintertreibt, am Ende der Avus eine Minute früher ankommen. Die Frage ist: wozu? Als man den König von Preußen dazu überreden wollte, die erste Bahnverbindung von Berlin nach Potsdam zu genehmigen, und als er zögert, wurde ihm gesagt: Dann können Majestät schon um halb neun in Potsdam sein. Sagt der König: Und was tue ich um halb neun in Potsdam? Ja, das ist eine Frage, was tun die Berliner am Ende der Avus, wenn sie dort eine Minute früher angekommen sind? Am wahrscheinlichsten ist: sie kehren um, sind dann wieder am stadteinwärts gelegenen Ende dieser Rennstrecke aus den zwanziger Jahren und was tun sie dann? Ich weiß es nicht.

Um was geht es? Natürlich nicht um diese eine Minute, sondern um die garantierte Freiheit, so schnell zu fahren, daß sich die Möglichkeit - und die Wahrscheinlichkeit! erhöht, eine weitere Person per Verkehrsunfall umzubringen beziehungsweise sich selbst. Insgesamt gibt es derzeit pro Jahr 134 „Straßentote“, nach denen kein Hahn kräht. Sie sind ganz vorwiegend die Opfer der Freiheit, mit 220 Stundenkilometer über die Autobahn rasen zu dürfen - eine Freiheit, die außer den Westdeutschen plus Westberlinern die Autofahrer keines anderen europäischen Staates genießen von den USA ganz zu schweigen, dem Land der Freiheit. Diese westdeutsche/westberliner Freiheit einzuschränken, hat bis jetzt keine Regierung gewagt. Als jetzt versucht wurde, eine klitzekleine Einschränkung zu verordnen, haben sich die motorisierten Terroristen zusammengetan und sind ein paar Abende lang den Kudamm hinauf und hinunter gerast und haben gehupt, gehupt, gehupt. Der ADAC hat diese Demonstration gutgeheißen, die Polizei hat zugeschaut, sofern sie nicht überhaupt den Anführer gespielt hat.

Knapp drei Wochen vorher gab es da die Randale zur Feier des 1.Mai in Kreuzberg, und Sie wissen ja, wie die BürgerInnen und die CDU darauf reagiert haben. Wie reagieren sie auf den Kudamm-Terror? Überhaupt nicht. Die Stadt läßt sich das bieten. Hier werden Birnen mit Äpfeln verglichen? Oh nein, hier werden zwei Sorten von Terrorismus verglichen, von denen der in Kreuzberg mit existenziellen Problemen der jungen Menschen zusammenhängt, die den Staat nur noch als Polizei erleben - der auf dem Kudamm aber nur mit einem total falschen, Menschen und Umwelt gefährdenden rücksichtslosen Begriff von „Freiheit“.

Erich Kuby