piwik no script img

SUBJEKT UNTER- LIEGT OBJEKT

■ „Alles in mir revoltiert...“: Stephan Krawczyk singt und spricht Brecht

Stephan Krawczyk scheint auf dem Wege der Heilung: Zwar hat er fünfzehn Monate nach seiner Einweisung in die BRD eine neue Schallplatte (Wie geht's?) aufgenommen, ist aber so freundlich und rücksichtsvoll, sie uns nicht anzudienen und vorzusingen. Statt dessen macht er Brecht. Alles in mir revoltiert... heißt sein Programm, so geht's mir auch immer, wenn ich seinen Namen höre, aber Qpferdach, der Fintenreiche, weiß mit schönen Lügen von der Notwendigkeit eines Besuchs zu überzeugen.

Stephan Krawczyk, ein Ensemble in Baumwolle anthrazit, Gymnastikschlappen am bloßen Fuß, obenrum geschoren und chronisch mehrtagebärtig, hüpft auf die Bühne des Flöz, einen Lampion am Stöckchen vor sich hertragend. Das ist der Mond, b. B. steht drauf, hin und her wird er geschwenkt, und dann geht die Sache an. Ich habe das Gefühl, ich dürfe nichts sagen. Es sei nicht erwünscht, von mir etwas gesagt zu bekommen. Krawczyk hat sich seinen Brecht zusammengesucht und -gestellt, das ist legitim. Die Verbannung ist nicht der Ort, wo der Hochmut verlernt wird, nur schlägt es allzuoft in die Legende vom armen St. K. um. Mit Identifikation kommt man Brecht nicht nahe, nur mit Distanz. Wenn Krawczyk die schafft, wird's gleich besser, entspannter, freundlicher, klarer. Pfingsten/ sind die Geschenke am geringsten/ Während Ostern/ Geburtstag/ und Weihnachten/ etwas einbrachten, das kommt leicht und federnd, beim Plattkopf - Sie sind ein Plattkopf. Damit können Sie achtzig werden. Geschäftlich ist das geradezu ein Vorteil. undsoweiter verliert er den Abstand wieder, schmunzelt, zwinkert und schweinchenschlaut.

Die Auswahl ist gut und dicht, den grämlich Mäkelnden, der dem Autostopper ohne Not seine Hilfe verweigert und über sich, seine Stimme und diese ganze Welt erschrickt, nölt Krawczyk mit verkniffenem Gesicht, während er sich mit der Feile die Nägel knibbelt. Den schmutzigen, den angeblich säuischen, weil ohne romantische Zuckerwatte vom Ficken redenden Brecht - von wegen „frauenfeindlich“: er lügt nur nicht - aber bringt er nicht zustande, den kauft man ihm nicht ab, die Präsenz in Stimme und Körper, den unerschrockenen Kopf hat er nicht, will sich eher herauswinden.

Höllisch ist das Singen. Krawczyk, an Biermann, also am großmäuligen Nichtintonierenkönnen geschult, brummt lastend und schwerblütig, wenngleich er die aufgepumpte Ochsenfroschigkeit des Prahlers Biermann, der die DDR für die Welt und sich selbst für ihren letzten Held hält, doch weit unterschreitet. Trotzdem: Bedeutungsschwangerschaftsabbruch ist Pflicht, Indikation kriegt er, sozial und medizinisch gleichermaßen. Das Akkordeon, schiffendes Klavier nennt er's, windjammert und tremoliert, beim Sprechen sind Modulation und Rhythmik immergleich, variationslos, ermüdend, sich totlaufend, und auch die Lautstärke kennt nur einen Pegel.

Warum die Regie von Frau Freya Klier, der Tränenreichen, Krawczyk dazu nötigt, eine krückige Standwaage wie einen sauberen Handstand zu machen, in Ziejenjemecka auszubrechen oder merkwürdig zu sagen und dazu zu gucken wie einer, der merkwürdig sagt, wird ebenso ein Geheimnis bleiben wie der Grund für den dramaturgischen Kniff, den Mann permanent „So!“ nuscheln und mit einem Lappen die Flightcases seiner Instrumente abputzen zu lassen.

Brecht kriegt man nicht kaputt, jedenfalls nicht ganz und gar, und die Texte des kleinen Mannes mit Lederjoppe und Zigarre zwingen und bringen auch seinen Vorschüler Krawczyk auf den Punkt. Wenn aber aus Krawczyk Krawczyk spricht und nicht Brecht, sieht man den das Jammern nicht lassen könnenden Liedermacher am Tränenbottich und im alten Dilemma: die Welt besser machen wollen mit Weinen, Opferleib und Gesang, und doch nur ein dickes Stück zu ihrer Unerträglichkeit beitragen.

wiglaf droste

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen