: Brutale Männerjustiz
■ Zum Hafturteil gegen Ute und Melanie Loh
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Es verschlägt die Sprache. Es macht fassungslos, wütend und traurig. Damit hatten selbst notorische Pessimistinnen, die der Männerjustiz vieles zutrauen, nicht gerechnet. Zu vier bzw. drei Jahre Haft wegen Totschlags wurden Ute und Melanie Loh in Nordzypern verurteilt, weil sie in einem verzweifelten Kampf den Vergewaltiger töteten. Sie wurden von einem 20jährigen Mann überfallen, der gerade vom Militärdienst kam, der ein Kraftprotz war und Melanie so brutal und wie von Sinnen vergewaltigte, daß sie im Vaginalbereich schwer verletzt wurde. Dennoch wurde von den drei Richtern, eine davon eine Frau, die Notwehr nicht anerkannt. Sie zeigten auch im Strafmaß keine Milde und folgten der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Dabei konnte diese ihre Konstruktion, die Frauen hätten im nachhinein, also nach dem Kampf und „ohne Not“ Özmen Tulga erdrosselt, nicht einmal zweifelsfrei belegen. Diese offensichtlichen Mängel des Verfahrens lassen etwas hoffen für die Berufungsverhandlung.
War der Schuldspruch eine Konzession an eine partriarchale Moral die - unausgesprochen - den Opfern die Schuld gibt? Aber die Vergewaltigung selbst wurde ja nicht bestritten. Und in einer traditionell strukturierten Gesellschaft ist Vergewaltigung auch kein Delikt, über das mann mit einem Achselzucken hinweggeht. Wenn die Ehre der Tochter oder Frau verletzt wird, ist damit die gesamte Familienehre verletzt. Sie wiederherzustellen, ist Aufgabe der Männer.
Ute und Melanie Loh gingen zu weit. Sie wehrten sich selbst, sie selbst töteten dabei den Vergewaltiger. Das Gericht unterstellte ihnen, sie taten es aus Rache. In dieser Vorstellung zeigt sich, wie tief die Richter und die Richterin in Famagusta patriarchalen Normen verhaftet blieben. Der Begriff „Rache“ verweist auf den Begriff der „Ehre“. Beides ist unendlich weit von dem entfernt, was Frauen bei einer Vergewaltigung körperlich und psychisch angetan wird. Denn der Kern dieses Ehrbegriffs ist, daß Frauen durch eine Vergewaltigung für den rechtmäßigen Besitzer ihres Körpers, den tatsächlichen oder künftigen Ehemann ihren Wert verloren haben.
Zypern ist überall“ sagte jüngst Berlins Frauensenatorin Anne Klein, um die globale Männerwelt an den Pranger zu stellen. Richtig ist, daß nirgends auf der Welt das Recht der Frauen auf die Unversehrtheit ihres Körpers durchgesetzt ist und daß Vergewaltigungsprozesse in den allermeisten Fällen eine erneute Demütigung für die Opfer bedeuten. Dennoch ist ein vergleichbares Urteil in der Bundesrepublik kaum vorstellbar: die Notwehr hätte gezählt. Die Frauenbewegung hier hat in langen, mühsamen Auseinandersetzungen einen Bewußtseinswandel erreicht und die Öffentlichkeit für den gesamten Themenkomplex „Gewalt gegen Frauen“ sensibilisiert. Erneut geht es jetzt darum mit Demonstrationen, Aktionen vor Reisebüros bis hin zu einem Reiseboykott Druck zu machen. Druck auszuüben auch auf das Auswärtige Amt, damit dieses in Nordzypern aktiv wird. Wenn in der Berufungsverhandlung der Schuldspruch bestätigt werden sollte, bleibt als Ausweg nur noch das Gnadengesuch der beiden Frauen an das nordzypriotische Abgeordnetenhaus.
Helga Lukoschat
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