Bundesrepublik: Am Anfang war die D-Mark

■ Ein kleiner Streifzug durch die Geburtsstunde unserer Währung / Vom Lohnstopp über den Auslandsschulden-Erlaß bis zum Koreakrieg: Die „blaue Blume der sozialen Marktwirtschaft“ konnte erblühen / Zum heutigen 40. Geburtstag der Bundesrepublik eine Tischrede von Elmar Altvater und Kurt Hübner

Wenn man es nicht theoretisch bereits wüßte, am Beispiel der deutschen bzw. westdeutschen Wirtschaftsentwicklung könnte man es empirisch erforschen: daß die „ökonomische Basis“ ganz verschiedene „politische Überbauten“ aushält und den gesellschaftlichen Herrschafts- und Machtverhältnissen eine frappierende Kontinuität und Stabilität zu verleihen vermag. 40 Jahre nach der Inauguration der „Deutschmark“ läßt sich mindestens zweierlei sagen: Erstens haben die ökonomischen Produktions-, Reproduktions- und Machtstrukturen unangefochten verschiedene politische Formen der Regulation überdauert, und zweitens hat die herrschende Klasse die politischen Institutionen und deren Funktionen jeweils sehr elastisch an geänderte weltpolitische und weltwirtschaftliche Konstellationen anzupassen vermocht. Das Geld der westdeutschen Republik, die Deutsche Mark, ist in den letzten vier Jahrzehnten zu einer der großen Weltwährungen aufgestiegen. Anders als in der gnomenhaften Schweiz, deren Franken durch die diskreten Offerten des Bankplatzes rund um den Genfer See und Zürcher Bahnhofstraße zur Weltwährung gepowert wird, hat die Stärke der D-Mark eine Basis in der Wirkungsweise des ökonomischen Modells von Akkumulation und Regulation. Der ökonomische Erfolg der Republik läßt sich an der Karriere der D-Mark ablesen. Seit der Währungsreform am 21. Juni 1948 hat die Deutschmark zwar im Jahresdurchschnitt im Inland 2,7 Prozent an Wert verloren - im internationalen Vergleich ist diese Geldentwertungsrate aber konkurrenzlos niedrig. Selbst die Schweiz weist eine durchschnittlich höhere Inflationsrate auf. Noch eindrucksvoller ist die Entwicklung des Außenwertes der D-Mark: Seit 1950 ist der gewogene Außenwert der D-Mark gegenüber den wichtigsten Währungen der kapitalistischen Welt um mehr als das 2,3fache gestiegen. Jeder Bundesbürger ist damit in die - statistische - Lage versetzt, die wichtigsten Währungen mit einem durchschnittlichen Abschlag von 60 Prozent im Vergleich zum Jahr 1950 zu erwerben.

„Gold-Dollar“ verraucht

Nach der verhältnismäßig kurzen „Morgenthau-Phase“ US -amerikanischer Deutschlandpolitik, in der das Nach -Nazideutschland als ökonomischer und politischer Faktor der Nachkriegs-Weltordnung ausgeschaltet werden sollte, fällt die Entscheidung für die Integration Westdeutschlands in die sich entwickelnde Arbeitsteilung der westlichen Welt. Weltpolitische Konstellationen und die US-amerikanische Strategie des atlantischen „grand design“ waren die Geburtshelfer dieser Westintegration. Die kapitalistische Restauration Westdeutschlands und die Integration in ein US -dominiertes kapitalistisches Hegemonialsystem schienen das opportune Mittel, um dem Überschwappen sozialistischer Transformationsprozesse nach West- und Mitteleuropa Einhalt zu gebieten. Günstige Marktkonstellationen zusammen mit einer bewußten Anpassungspolitik an den Weltmarkt sind die Grundlagen für den langen Aufschwung der westdeutschen Wirtschaft und nicht etwa die Entscheidungen für die soziale Marktwirtschaft oder die besondere Tüchtigkeit und Arbeitswut der Deutschen, wie so manche Legende heute zu erzählen weiß. Die innerökonomischen und innenpolitischen Weichenstellungen wurden bereits kurz nach Kriegsende vorgenommen.

Produktionsmittel und Arbeitskräfte waren quantitativ und qualitativ vorhanden, als die Nachkriegsära begann. Das Geld des deutschen Reiches allerdings war wertlos. Nach innen war das „Reich“ infolge der über Schuldverschreibungen und verschiedenste Wertpapiertypen finanzierten Kriegsausgaben mit mehr als 400 Milliarden Reichsmark (RM) etwa 95 Prozent des gesamten Geldvermögens der Privaten überschuldet. Dieser Schuldenberg ging einher mit einer Überliquidität des privaten Sektors: Im Frühjahr 1947 etwa beträgt das Geldvolumen etwa 173 Milliarden RM, dem ein Volkseinkommen von geschätzten 50 Milliarden RM gegenübersteht. Infolge der gleichzeitig geltenden Bewirtschaftungsmaßnahmen und des Preisstopps kann das Mißverhältnis zwischen Güter- und Geldversorgung nicht abgebaut werden. Der monetäre Überhang verschafft sich entsprechend Luft in einer Entwertung und dann auch in einer „Repudiation“, einer Ablehnung der Reichsmark als Geld: Es beginnt die Zeit der „schwarzen“ und „grauen Märkte“. Durch nichts kann das schmähliche Ende des Deutschen Reiches stärker symbolisiert werden als dadurch, daß an die Stelle der würdigen Reichsmark - mit dem Inbegriff deutscher Staatsherrlichkeit, dem Reichsadler, darauf - nun die banale Camel und Pall Mall treten. Ironischerweise hieß eine der meistverbreiteten Zigarettenmarken der Nachkriegsära „Gold Dollar“.

Vor allem auf den „schwarzen Märkten“, auf denen die ausgepowerte Bevölkerung sich die Waren für das tagtägliche Überleben zu beschaffen weiß, erfüllen die Zigaretten ihre Funktion blendend. Sie sind ebenso Wertmaßstab wie Zirkulationsmittel. Selbst die offizielle deutsch -amerikanische Tauschzentrale in Frankfurt am Main nimmt die Zigaretten als Tauschobjekte an und zahlt für eine Packung den zweieinhalbfachen Betrag des eigentlichen Einkaufspreises. Auch die daraufhin einsetzende Steigerung der Zigarettenimporte aus den USA kann den Kurswert dieser Währung nicht beeinträchtigen: „Keine Währung der Welt“, so Günter Schmölders, „hat eine derart wirksame, unerbittliche und zuverlässige Geldmengenregulierung aufzuweisen“: Hat das Geld seine Zirkulationsfunktion nämlich erfüllt, kann es seinem ultimativen Zweck zugeführt werden; es verglüht beim Genuß der Raucher zu Asche.

Auf den „grauen Märkten“, auf denen die Unternehmen Produktionsmittel, Ersatzteile und Rohstoffe zu besorgen versuchen, spielt die Zigarette allerdings keine bedeutende Rolle. Hier dominieren Kompensationsgeschäfte, bei denen unter Ausschluß jeglichen Geldes Ware gegen Ware getauscht wird. Auf den „grauen Märkten“ zeigt es sich, daß die Wiederingangsetzung des kapitalistischen Verwertungsprozesses andere monetäre Konstellationen verlangt, als sie die Zigarettenwährung bereitstellen kann. Bereinigt werden mußten darüber hinaus auch die öffentlichen und privaten Schulden gegenüber dem Ausland. Zum Teil handelt es sich dabei um Reparationsschulden aus dem ersten Weltkrieg oder um Anleihen aus den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise, die den Schuldendienst finanzieren sollten. Bereits im März 1951 hat die neue Bundesregierung erklärt, als Rechtsnachfolgerin des Reiches die alten Schulden prinzipiell anzuerkennen; die Zahlungsfähigkeit der neugegründeten BRD würde aber nicht ausgereicht haben, um ohne gravierende negative Wirkungen auf den kapitalistischen Rekonstruktionsprozeß die externen Schulden in fremder Währung, das heißt in US-Dollar zurückzuzahlen oder zu bedienen. Die Westalliierten stimmten schließlich während der Londoner Schuldenverhandlungen 1953 einer Halbierung der zu tilgenden Gesamtschulden von 29 auf 14 Milliarden D-Mark zu; darüber hinaus wurden die Rückzahlungszeiträume so gestreckt, daß es für die BRD kein Problem werden konnte, die Zahlungen aus den laufenden Deviseneinnahmen zu finanzieren. Die ursprünglich bis 1988 laufende Tilgungsfrist konnte so wesentlich verkürzt werden.

Kompensationsgeschäfte

Es ist Teil des geschichtlichen Erbes der Bundesrepublik, daß auch die Schaffung des neuen Geldes - ureigentlicher Akt nationaler Souveränität - von außen besorgt wird. An Vorschlägen zur Währungsreform besteht wahrlich kein Mangel

-rund 250 derartige Pläne, zum großen Teil aus deutschen Federn - sind nachgewiesen. Auch gibt es harte Streitigkeiten unter den Alliierten über die angemessensten währungspolitischen Reformen im Nachkriegsdeutschland. Die eigentliche Währungsreform ist dann aber ausschließlich eine US-amerikanische Angelegenheit, an der deutsche Stellen ebensowenig beteiligt sind wie die anderen alliierten Mächte. Noch während die Diskusionen über die Währungsreform laufen, werden seit Oktober 1947 die zukünftigen D-Mark -Noten in den USA gedruckt und dann in einer logistisch beeindruckenden Operation in die US-amerikanische Enklave Bremerhaven verschifft, um schließlich in Frankfurt unter strengsten Sicherheitskontrollen gelagert zu werden. Der klandestine Charakter der „Operation Bird Dog“ spiegelt sich im (Nicht-)Design der Geldnoten wider: Auf ihnen ist weder einer der üblichen Charakterköpfe verzeichnet noch eine Ausgabestelle oder eine Numerierung.

Finanztechnisch entsteht die D-Mark aus einer bedeutenden Abwertung aller auf Reichsmark lautenden Geldvermögen um 93,5 v.H. Die Realvermögen allerdings, die ja noch im Krieg und in der Nachkriegszeit trotz Zerstörungen und Demontagen gewachsen waren, wurden effektiv nicht angetastet, auch durch das Gesetz zum „Lastenausgleich“ nicht. Die alten Besitz- und damit auch gesellschaftlichen Machtverhältnisse wurden gestärkt, indem sie von den ökonomischen Belastungen des Dritten Reiches befreit wurden; auch dies ist Teil der Befreiung vom Nationalsozialismus. Ohne die alten Schulden, mit neuem Geld ausgestattet, ließ sich prächtig akkumulieren. Dem kam auch entgegen, daß mit der Währungsreform zwar die Preise der Waren freigegeben wurden, aber der Lohnstopp bis in den November 1948 aufrechterhalten blieb. Die Inflation hatten also die Lohnabhängigen zu tragen, während die „blaue Blume der sozialen Marktwirtschaft“ kräftig erblühen konnte und den Unternehmern lukrative Profite bescherte. Erst am 3. November wurde der Lohnstopp aufgehoben; am 12. November organisierten die Gewerkschaften einen 24stündigen Generalstreik gegen die Preistreiberei - übrigens der einzige Generalstreik, der in der deutschen Nachkriegsgeschichte je stattgefunden hat. Ein Jahr nach der Währungsreform wird dann die Bundesrepublik Deutschland 1949 auch als politische Einheit gegründet; Zug um Zug gehen nun die Attribute der Staatlichkeit und die Medien der Staatsmacht, die bislang bei den Alliierten lagen, auf deutsche Institutionen über. Der Zusammenbruch, der keiner war, resultiert in einer neuen Gesellschaft, in deren Institutionen und Funktionsbedingungen das nationalsozialistische Erbe aufgehoben ist. Die Kontinuitäten zeigen sich am deutlichsten in den Personen; in den wirtschaftlichen wie in den politischen Institutionen und später in der Bundeswehr haben die führenden Köpfe ihre erste Karriere bereits in Hitlers Drittem Reich gemacht: Gott erhält die Mächtigen - wie ein Buchtitel von Kurt Pritzkoleit zur personellen Kontinuität treffend formuliert.

Neuordnung begraben

Unverständlich bliebe die „Rekonstruktionsperiode“ der Bundesrepublik ohne Betrachtung der Art und Weise, wie die BRD in den Weltmarkt integriert wird. Angesichts der weltpolitischen Lage nach dem Beginn des kalten Krieges 1947 gab es wahrscheinlich zur politischen Westintegration der drei westlichen Besatzungszonen keine Alternative. Doch wenn es eine gegeben hätte, sie wäre wahrscheinlich von den inzwischen führenden Kräften kaum ergriffen worden. Der Marschall-Plan wurde deshalb von der wieder formierten politischen Klasse in Westdeutschland bereitwillig akzeptiert, nachdem von der KPD und von Teilen der SPD daran scharfe Kritik geübt worden war.

Ökonomisch viel wichtiger für Westdeutschland war der Beginn des Koreakriegs im Juni 1950. Es ist eine schwarze Ironie der Geschichte, daß der endgültige „Take-off“ der westdeutschen Wirtschaft ins Wirtschaftswunder der fünfziger und sechziger Jahre durch einen neuen Krieg, durch Tod und Zerstörung auf der koreanischen Halbinsel, gestützt wurde. Die plötzlich steigende Nachfrage nach Investitions- und Produktionsgütern übte für die westdeutsche Industrie einen Sogeffekt aus, der die Wachstumsraten der Produktion in kürzester Frist einen Satz nach oben machen ließ. Der Weltmarkt hatte sozusagen die westdeutsche Wirtschaft akzeptiert; ihre vom Faschismus übernommene Produktionsstruktur und der in dieser Zeit modernisierte technische Produktionsapparat erwiesen sich im ersten Nachkriegsaufschwung, dem Koreaboom, als außerordentlich wettbewerbsfähig. Das Geld war reformiert, die staatliche Macht wiederhergestellt. Die Auseinandersetzungen um die Regulierung der Arbeit in Betrieb und Unternehmen wurden 1951 mit dem Mitbestimmungsgesetz, das in der Kohle- und Stahlindustrie eine paritätische Repräsentanz der Vertreter von Arbeitnehmern und Gewerkschaften ermöglichte, und dem Betriebsverfassungsgesetz 1952, das vor allem eine Verpflichtung auf das „Gemeinwohl“ enthielt (§ 49), abgeschlossen. Die von den Gewerkschaften noch auf dem Gründungskongreß des DGB im Oktober 1949 in München angemeldeten Neuordnungsvorstellungen von Wirtschaft und Gesellschaft wurden unter den Exporterfolgen und den dadurch induzierten Wachstumsraten der Wirtschaft begraben. Schneller als es jemand glauben konnte, der 1945 in den deutschen Großstädten über Trümmerberge kletterte, war Westdeutschland „wieder da“ - dank der Integration in das hegemoniale System, das unter Führung der USA inzwischen entstanden war.

Der Text ist eine stark gekürzte Fassung eines Beitrages, der unter dem Titel „Das Geld einer mittleren Hegemonialmacht - Ein kleiner Streifzug durch die ökonomische Geschichte der BRD“ in der im Rotbuch Verlag erscheinenden Vierteljahreszeitschrift 'PROKLA‘ (Heft 73: BRD wird 40 - PROKLA gratuliert) erschienen ist.

Am Samstag bringt die taz acht Sonderseiten: 40 Jahre Bundesrepublik