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Anzeigen gegen DDR-Wahlfälschung

■ Nach einer Flut von Eingaben wegen vermuteter Wahlfäschung jetzt die ersten Strafanzeigen / Schwerkranke sollen zur Stimmabgabe gezwungen worden sein

Ost-Berlin (dpa) - Nach zahlreichen Einsprüchen bei staatlichen Stellen sind in Ost-Berlin die ersten Strafanzeigen wegen der Kommnalwahlen am 7. Mai bekanntgeworden. Mindestens zwölf Bürger hätten in den letzten Tagen beim Generalstaatsanwalt Strafanzeigen nach Paragraph 211 wegen vermuteter „Wahlfälschung“ gestellt, wurde aus Kirchenkreisen berichtet.

Zu denen, die Strafanzeige erstatteten, gehört auch der Ostberliner Pfarrer Rainer Eppelmann, der der Leiterin der Stadtbezirkswahlkommission von Berlin-Friedrichshain „Fälschung des Wahlergebnisses“ vorwirft. Der Paragraph 211 sieht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Nach Darstellung von Teilnehmern an den öffentlichen Auszählungen seien in Friedrichshain insgesamt 4.721 gültige Stimmen gegen den Wahlvorschlag ermittelt worden. Das amtliche, in der DDR-Presse veröffentlichte Endergebnis nannte hier 1.611 Neinstimmen.

In anderen Stadtbezirken und DDR-Städten hatten kirchennahe Gruppen ebenfalls von ihnen gesammelte Ergebnisse bekanntgegeben, die zum Teil deutlich von den amtlichen abweichen. Auch die amtlich angegebene Wahlbeteiligung von fast 99 Prozent wird von etlichen DDR-Bürgern in Eingaben bezweifelt. Allein in Ost-Berlin und Potsdam wurden nach Angaben von Basisgruppen und Kirchenvertretern Eingaben und Einsprüche wegen vermuteter Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen bisher von über 400 Bürgern unterschrieben und an staatliche Stellen geleitet. Wie es heißt, soll republikweit die Zahl der Eingaben, Einsprüche und Strafanzeigen um ein Vielfaches höher sein. Solch eine Anfrageflut habe es „noch nie gegeben“, heißt es aus Kirchenkreisen. Wie bekannt wurde, gibt es von Ärzten Vorwürfe, daß Wahlhelfer versucht hätten, Schwerkranke in Kliniken und Pflegestationen zur Stimmabgabe zu bewegen, die dazu vom medizinischen Standpunkt aus gar nicht in der Lage gewesen seien.

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