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BAADER-MEINHOF-LAMBERT

■ „Sein Kampf - ein Schuß Sehnsucht“ im Sputnik

„Ich habe oft das Gefühl, mein Leben noch nicht gelebt zu haben.“ Mit dieser folgenschweren Einsicht beginnt der Aufstand eines kleinbürgerlichen Gartenzwerges gegen seinen Vorgarten; ein im Grunde genommen alltäglicher und nicht sonderlich erwähnenswerter Erkenntnisprozeß, der hierzulande aber ein besonderes soziales Flair genießt, wenn er mit einer ordentlich geregelten Politisierung - links überholen! - einhergeht. Im Schnellverfahren wird mit Hilfe von vielen nützlichen theoretischen Programmen und Manifesten die weite Welt in ihrer globalen Unterdrückung auf Vorgartenmaße gestutzt, und wenn dann auch die Zusammenhänge stimmen und die Strukturen sitzen, ist alles prima organisiert fürs unbeschwerte Revolutionsspiel.

Sein Kampf - ein Schuß Sehnsucht ist Lothar Lamberts zweiter Spielfilm, den er zusammen mit Wolfram Zobus fabrizierte und der nach 17 Jahren das Zeug hat, zu einem Klassiker des deutschen Politfilms zu werden, vorausgesetzt, die hiesigen Alt- und Neurevolutionäre können einen Kübel derben Spottes vertragen und mal kräftig über sich selbst lachen. Denn ansonsten ist zu befürchten, daß wirklich wieder keiner lacht, und gemeiner kann man diesen Film nicht mißverstehen und mit Ignoranz bestrafen. Sein Kampf ist das rare Dokument einer tumultigen Zeit, Spät-APO, K-Kader und Früh-Baader-Meinhof sind in frischem, unverkrampftem Groschenromanstil gehalten: Schlagzeilenkino mit fetten Balken grob, aber gut lesbar, als ob die Marx-Brothers eine linke, subkulturelle BZ vom Tage verfilmt hätten. Aber keine Bange, die eifrigen Revolutionäre werden von Lambert und Zobus nicht grundlos in die Pfanne gehauen; es gibt dumme und dümmere Menschen. Und warum auch nicht über den bewaffneten Widerstand plaudern, als wäre er eine Sternstunde der deutschen Fernsehunterhaltung unter der Mitarbeit von Sergio Leone?

Lambert treibt die Trivialität bis zur Schmerzgrenze des reinen Vergnügens, er provoziert, weil er das Plakative liebt, und nicht umgekehrt. Bestens zwängt er sich rein in die Rolle des verklemmten Spießers Jürgen, der die Schnauze einfach gestrichen voll hat; einer, der auf dem Klo scheißend seinen Chef verflucht, einer, der von seiner Mami tyrannisiert und von seiner blöden Freundin ausgenommen wird. Entweder daran kaputtgehen oder eines schönen Tages den letzten Rest Lebensmut zusammenkratzen für das Wagnis, mal den Kopf durch die Zaunlatten seines Vorgartens zu quetschen, um etwas frische Luft zu schnappen, die nach Veränderung riecht.

Er schmeißt seinen öden Bürojob, nachdem jede Aussicht auf Karriere ruiniert ist, und gerät langsam in diese sogenannten schlechten Kreise - Sie wissen doch: vor denen Ihre Eltern Sie immer gewarnt haben: Politspinner, die in Kommunen hausen, Männlein & Weiblein durcheinander, Drogenhippies, Musiker, Lebenskünstler, und was es da sonst noch so alles an gefährlichen Konsorten gibt. Dazu verfilmt Lambert wieder mit souveräner Geschmacklosigkeit seine Schallplattensammlung, was auf einer Party zu schwersten langhaarigen Ausschreitungen führt (Headbanging!), und wenn dann mal für einen Moment die Musik aussetzt, findet ein rasanter Schlagabtausch tiefsinnigster Dialoge statt, die derart heftig nach hinten losgehen („Bist du schwul oder politisch?“), daß man sich wahrheitsmäßig betroffen empören muß. Den stets breit und breiig schwafelnden Politaktivisten, die immer den längeren Atem haben, wenn es darum geht, vor konkreten Aktionen zu kneifen, mißtraut Jürgen zu recht, und bei ihren abstrusen „Bewaffnen Jetzt!„ -Diskussionen (“...können doch nicht alle auf die Baader -Meinhof-Tour ... Besser hinter 'ner Kanone stehen als vor einer Kanone!“) denkt er sich seinen eigenen Teil. Vorm Spiegel übt er revolutionäre Rethorik (eine psychologische Vorbereitung, die für jeden VV-Diskutanten zur Pflichtübung werden sollte) und wirft sich dann in die wunderbar romantische Desperado-Pose - der einsame Rächer gegen Springer und BZ, unterlegt mit unser aller Lieblingsmelodie aus Spiel mir das Lied vom Tod. Das klingt theatralisch überspannt? Lambert hat aus dem politischen Zündstoff seiner Zeit ein Melodram gestrickt, das Gefühl besitzt für Trauer und Komik, Absurdität und Einsamkeit; ein Film, dessen Lebendigkeit den Kopf befreit, gerade jetzt im Zeichen autonomer Zwergenaufstände. Am Schluß feuert Jürgen seinen Schuß Sehnsucht auf das Rathaus Schöneberg ab, aber seine Badehose am FKK-Strand auszuziehen, traut er sich nicht.

DOA

„Sein Kampf“, täglich um 21.15 Uhr im Sputnik-Südstern.

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