: Anwesenheitszwang für Todkranke
■ Aidskranke Drogenabhängige bekommen in Bremen Methadon - und verlieren damit ihr Recht auf Freizügigkeit / Ersatzdroge darf vom Arzt nur in Tagesdosis verabreicht werden
Horst K.(Name geändert) ist einer von rund zehn Bremer Drogensüchtigen, die an Aids erkrankt sind. Seit einem Jahr bekommt er von seinem Hausarzt eine tägliche Dosis Methadon. Damit kann er jedenfalls die begrenzte Zeit, die ihm zu Leben noch bleibt, außerhalb von Beschaffungskriminalität und Dealerszene verbringen. Doch diese Entlastung vom Druck seiner Sucht hat er mit dem Verlust seiner Freizügigkeit teuer
bezahlen müssen.
Die sechs Bremer Ärzte, denen das Bundesgesundheitsamt die Methadon-Vergabe an aidskranke Drogensüchtige im vergangenen Jahr offiziell erlaubt hat, dürfen den Ersatzstoff nämlich nur eigenhändig in der zulässigen Tagesdosis verabreichen. Jeden Morgen zwischen 8 und 9 Uhr muß Horst K. deshalb persönlich bei seinem Hausarzt erscheinen. An Wochenenden über
nehmen die sechs Ärzte abwechselnd die Methadon-Ausgabe im notärztlichen Dienst in der Wachmannstraße. „Ich fühle mich dermaßen entmündigt“, beklagt sich Horst K., „noch nichtmal ein Wochenende kann ich außerhalb Bremens verbringen.“
Ein Besuch bei seiner Freundin in Bielefeld wäre mit etwas Glück noch möglich. Sein Hausarzt müßte dort einen Kollegen finden, der in „Amtshilfe“ das Met
hadon herausgibt. Doch seine Mutter, so fürchtet Horst K., wird er nicht mehr sehen können. Sie wohnt im tiefsten Oberbayern. Dort wird nach dem Memminger Prozess wohl kaum noch ein Mediziner zu finden sein, der das Risiko einer Anklage wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BTM) eingeht.
Auch Dr. Schöfer, zuständiger Abteilungsleiter im Gesundheitsressort und Initiator der Bremer Methadonvergabe an aidskranke Drogensüchtige, kann keinen Arzt dazu verpflichten. „Aus unserer Sicht ist die Methadonvergabe medizinisch gerechtfertigt“, meint er, kann aber nicht 100prozentig versichern, daß ein bayerisches Gericht das genauso sehen würde.
Denn das BTM verbietet ausdrücklich die Verschreibung von Methadon zur Substitution einer Heroinabhängigkeit. In Bremen wird es deshalb mit der Begründung ausgegeben, daß der Verlauf einer Aidserkrankung ohne die Ersatzdroge erheblich verschlimmert würde. Mit gleicher Begründung sollen in Bremen demnächst auch andere „schwere finale Krankheitszustände“ zur Vergabe von Methadon berechtigen, so Dr. Schöfer. Er denkt dabei an Krebs, schwere Lebererkrankungen, aber auch an fortgeschrittene Schwangerschaften. Nur so könnten abhängige Frauen vor dem Drogenstrich geschützt
werden.
Während in der Schweiz und in den Niederlanden Methadon auch als Einstieg in den Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit angeboten wird, gibt es in der Bundesrepublik bislang nur in Nordrhein-Westfalen einen genehmigten Test zur Auswirkung eines solchen „Methadon-Programmes“. Die Bremer Regelung basiert lediglich auf einer Interpretation des BTM.
Deshalb sind in Bremen auch nur wenige, engagierte ÄrztInnen überhaupt bereit, schwerkranken Drogenabhängigen mit Methadon zu helfen. Anfang Mai beschwerten sich die Notärzte aus der Wachmannstraße schriftlich bei der Kassenärztlichen Vereinigung über die aidskranken Drogensüchtigen, die dort an Wochenenden und Feiertagen ihre Dosis der Ersatzdroge abholen müssen. Es könne sich ein Dealer-Kreis um das Notarzthaus herum bilden, füchten sie. Dabei werden die Methadontropfen in Saft aufgelöst verabreicht, ein Weiterverkauf ist völlig ausgeschlossen.
Für Horst K. ist der gesamte Prozess der Methadonvergabe schlicht unverständlich. Er möchte sich über die wenigen Wochen, in denen es ihm zwischen den Schüben seiner Aidserkrankung besser geht, ohne bürokratische Gängelei freuen.
Dirk Asendorpf
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