Eine Rushdie-Chronik

■ Chronologie der Ereignisse beim Rushdie-Skandal

15.-18. September 1988: Zwei indische Zeitschriften veröffentlichen Interviews mit Salman Rushdie über sein neues Buch, die Satanischen Verse. Ein moslemischer Abgeordneter im Parlament, Syed Shahabuddin, beginnt seine Kampagne, das Buch in Indien zu verbieten.

26. September 1988: Die Satanischen Verse erscheinen in London (Viking Penguin).

3.-10. Oktober 1988: Fayazuddin Ahmad von der Islamic Foundation in Leicester (UK) schickt Fotokopien der „blasphemischen“ Seiten an fast alle moslemischen Organisationen Großbritanniens und fordert sie auf, aktiv zu werden. Er reist nach Saudi Arabien und fordert den Rat der Islamischen Länder (IOC) beziehungsweise seine 46 Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen gegen die Satanischen Verse zu ergreifen.

5. Oktober 1988: In Indien wird das Buch verboten. Der Sekretär der Moslemvereinigung Londons, Syed Pasha, ruft eine Krisensitzung zusammen, auf der Maßnahmen einer nationalen Kampagne zum Verbot des Buches beraten werden.

20. Oktober 1988: Syed Pasha schreibt an die britische Premierministerin Margaret Thatcher und fordert sie auf, Salman Rushdie gerichtlich zu belangen und die Satanischen Verse zu verbieten.

1. November 1988: Salman Rushdie, der nach Johannesburg (Südafrika) eingeladen war, auf einer Buchwoche gegen Zensur zu sprechen, wird von den Veranstaltern, der Zeitung 'The Weekly Daily‘ und der Vereinigung südafrikanischer Schriftsteller (COSAW) ausgeladen, da moslemische Organisationen Morddrohungen gegen ihn geäußert haben.

8. November 1988: Der Whitbread-Preis für 1988 wird Salman Rushdie für die Satanischen Verse verliehen.

11. November 1988: Margaret Thatcher erklärt, es gäbe „keinen Grund, Salman Rushdie gerichtlich zu verfolgen oder das Buch zu verbieten“.

11. Dezember 1988: In Bradford (UK) wird auf einem Treffen von Moslems beschlossen, auf einer geplanten öffentlichen Demonstration Exemplare des Buches zu verbrennen.

19. Dezember 1988: Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Regentspark-Moschee (London) protestieren die Botschafter von Pakistan, Qatar und Somalia beim britischen Innenministerium gegen die Veröffentlichung des Buchs.

23. Dezember 1988: Der britische Generalstaatsanwalt Sir Patrick Mayhew antwortet Syed Pasha und erklärt, die Satanischen Verse be inhalteten keinerlei Gesetzesbruch.

14. Januar 1989: Auf einer Demonstration von mehreren tausend Moslems in Bradford (UK) werden Exemplare des Buches Satanische Verse verbrannt.

25. Januar 1989: Salman Rushdie erklärt, sein Roman sei nicht blasphemisch, selbst der Prophet Mohammed würde keine Einwände gegen das Buch gehabt haben.

12. Februar 1989: Bei Unruhen in Islamabad (Pakistan), die aus Anti-Rushdie-Demonstrationen entstehen, werden sechs Menschen getötet und über hundert verletzt.

14. Februar 1989: Ayatollah Khomeini ruft Moslems auf, Salman Rushdie und seine Verleger zu töten, da sie die Religion des Islam beleidigt haben. Er fordert das weltweite Verbot des Romans Satanische Verse und erklärt Rushdie zum Abtrünnigen. Salman Rushdie und seine Frau, die amerikanische Schriftstellerin Marianne Wiggins, erhalten Polizeischutz und tauchen unter.

15. Februar 1989: Tausende Demonstranten gegen Rushdie bewerfen die britische Botschaft in Teheran mit Steinen. Ein hoher Religionsführer in Iran setzt einen Preis von einer Million Dollar auf Rushdies Kopf aus.

16. Februar 1989: Die Regierungen Frankreichs und der USA verurteilen die Morddrohung. Der Rat der islamischen Länder droht Penguin mit einem Boykott der gesamten Verlagsproduktion in allen Mitgliedsländern für den Fall, daß dieSatanischen Verse nicht vom Markt genommen würden.

17. Februar 1989: Der iranische Präsident Ali Chamenei deutet an, daß Rushdie durch eine Entschuldigung Vergebung erlangen könnte.

18. Februar 1989: Salman Rushdie gibt eine Erklärung ab, in der er sein „tiefes Bedauern“ darüber äußert, Moslems gekränkt zu haben. Die iranische Regierung sagt, seine Erklärung sei nicht ausreichend für eine öffentliche Reue, die allein zur Vergebung führen kann.

19. Februar 1989: Ayatollah Khomeini wiederholt sein „Todesurteil“ und fügt hinzu, es sei die Pflicht eines jeden Moslem, Salman Rushdie zur Hölle zu schicken.

21. Februar 1989: Die Länder der Europäischen Gemeinschaft ziehen ihre Botschafter aus Teheran ab und sagen zunächst alle Kontakte auf höherer Ebene mit dem Iran ab. Der Iran ruft seine Botschafter aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft zurück. Großbritannien verweist den iranischen Charge d'Affaires des Landes (Botschafter gibt es nicht zwischen London und Teheran, d.Red.).

22. Februar 1989: Präsident Chamenei erklärt, der „Pfeil der Rache“ sei auf Salman Rushdie abgeschossen. Der französische Staatspräsident Mitterrand sagt, die Morddrohung sei das „absolut Böse“. Viele bekannte amerikanische Schriftsteller verlesen öffentliche Stellungnahmen und demonstrieren in New York gegen Buchladenketten, die den Verkauf der Satanischen Verse eingestellt haben. Ayatollah Khomeini sagt, die Rushdie-Affäre sei ein Gottesgeschenk für den Iran, die „Welt der Arroganz und Barbarei hat ihr wahres Gesicht ewiger Feindschaft gegen den Islam enthüllt“ durch sie. Er fuhr fort: „So lange ich lebe, werde ich nicht zulassen, daß die Regierung Liberalen in die Hände fällt. Ich werde auf jedem Gebiet den Einfluß amerikanischer und sowjetischer Agenten bekämpfen.“

23. Februar 1989: Sowohl in Frankreich als auch in der Bundesrepublik wird - nach anfänglichem Zögern - eine Herausgabe beziehungsweise Veröffentlichung der Satanischen Verse beschlossen.

24. Februar 1989: In Bombay werden zwölf Anti-Rushdie -Demonstranten von der Polizei erschossen.

26. Februar 1989: Bei einem Bombenattentat auf die Bibliothek des British Council in Karatschi wird ein pakistanischer Sicherheitsbeamter getötet.

27. Februar 1989: Die britische Regierung weist Forderungen moslemischer Organisationen zurück, das Blasphemiegesetz zu ändern (d.h. die Strafbarkeit der Verletzung religiöser Gefühle definiert weiterhin „religiös“ als „christlich“, d.Red.)

28. Februar 1989: Das iranische Parlament beschließt, jegliche diplomatischen Kontakte mit Großbritannien abzubrechen, falls nicht innerhalb einer Woche die britische Position verändert wird (die Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen war erst drei Monate zuvor von der Thatcher-Regierung eingeleitet worden, d.Red.).

2. März 1989: Der britische Außenminister Sir Geoffrey Howe erklärt, er verstehe, daß sich Moslems in Großbritannien durch die Satanischen Verse gekränkt fühlten und daß er das Buch auch für die britische Gesellschaft insgesamt als kränkend empfände, dennoch werde Großbritannien eine Normlaisierung der Beziehungen mit dem Iran solange nicht erwägen, wie „der Ayatollah seinen Mordaufruf und seine Hetze zur Gewalt gegen Salman Rushdie und seine Verleger nicht zurücknimmt“. Er sagte: „Die einzige Verbindung zwischen diesem Buch und der britischen Regierung ist unsere gemeinsame Verteidigung des Prinzips der freien Rede. Wir glauben nicht, daß dieses Prinzip hintangestellt werden kann, und werden uns in keinem Fall durch Morddrohungen und Gewaltaufrufe vom Gegenteil überzeugen lassen.“ In mehr als 30 führenden internationalen Zeitungen erscheint die „Weltweite Erklärung“ des Internationalen Komitees für die Verteidigung Salman Rushdies und seiner Verleger. Unterschrieben ist sie von mehreren tausend Schriftstellern, Journalisten und engagierten Einzelpersonen aus der ganzen Welt (siehe taz vom 2.März 1989).

7. März 1989: Der Iran bricht jeglichen diplomatischen Kontakt zu Großbritannien ab.

16. März 1989: Auf seinem Jahrestreffen in Riad (Saudiarabien) erklärt der Rat der Islamischen Länder (IOC) Salman Rushdie zum Abtrünnigen und dieSatanischen Verse zur Blasphemie gegen den Islam. Es heißt in dieser Erklärung, das Buch „überschreitet alle Normen der Höflichkeit und des Anstands und ist ein willkürlicher Versuch, den Islam und ehrwürdige moslemische Persönlichkeiten zu verleumden“.

29. März 1989: Abdullah Ahdel, Imam und Oberhaupt der belgischen Moslemgemeinde, wird zusammen mit seinem Sekretär in der Zentralmoschee von Brüssel ermordet. Der Mord wird in Verbindung gebracht mit einer Erklärung des Imam zu den Satanischen Versen im belgischen Fernsehen; dort hatte er gesagt, daß er sich zwar mit allem Nachdruck gegen die beleidigenden Passagen des Buches verwahre und der Meinung sei, Salman Rushdie solle vor ein islamisches Gericht gestellt werden; dennoch sei er nicht bereit, zum Verbot des Buches in Belgien aufzurufen, da „wir in einer demokratischen Gesellschaft leben“.

30. März 1989: Mehrere moderate Moslem-Oberhäupter in Großbritannien bitten um Polizeischutz, da sie wegen ihrer öffentlichen Stellungnahme Morddrohungen erhalten haben.

2. April 1989: Zwei Bombenanschläge - gegen ein Botschaftsauto und das Gebäude des British Coun cil - finden in Ankara statt.

9. April 1989: Brandanschläge gegen zwei Buchgeschäfte im Zentrum von London, weil sie die Satanischen Verse verkaufen.