Lebenslang für KZ-Kommandanten

45 Jahre nach seinen Taten wurde der ehemalige Leiter des Auschwitz-Nebenlagers Lagischa wegen zweifachen Mordes verurteilt / Freispruch für sechs weitere Mordanklagen / 20 Jahre Ermittlungsdauer gegen den ehemaligen Unterscharführer der Waffen-SS  ■  Aus Lüneburg Jürgen Voges

Zu lebenslanger Haft wegen Mordes an zwei russischen KZ -Häftlingen hat das Landgericht Lüneburg gestern den 66jährigen Horst Czerwinski verurteilt. Der ehemalige Waffen -SS-Unterscharführer war von Januar bis September 1944 Kommandant des Auschwitz-Nebenlagers Lagischa. Die zweite Kammer des Landgerichts sprach den pensionierten Schlachter aus Sülze im Landkreis Celle schuldig, im Frühjahr und Sommer 1944 zwei wahrscheinlich zivile russische Häftlinge nach deren gescheiterten Fluchtversuchen im Waschraum des Lagers Lagischa mit der Pistole erschossen zu haben.

Der Angeklagte, so befand der vorsitzende Richer Jürgen Diederichs in der Urteilsbegründung, habe seine Taten aus niedrigen Beweggründen, „aus Russenhaß und als Anhänger der nationalsozialistischen Rassenlehre“ begangen. Außerdem habe er damit „Stärke als Lagerleiter“ von Lagischa demonstrieren wollen. So habe Horst Czerwinski nach dem zweiten Mord im Juli 1944 den Toten auf den Apellplatz des Lagers schaffen lassen und dem dort angetretenen Arbeitskommando des Ermordeten erklärt, jeder, der noch zu fliehen versuche, werde ebenso erschossen.

Ein nach drei Wochen Untersuchungshaft außer Vollzug gesetzter Haftbefehl gegen den Angeklagten aus dem Jahre 1985 wurde mit der Urteilsverkündung erneuert und vollzogen. Die Anklage gegen den ehemaligen Unterscharführer der Waffen -SS lautete ursprünglich auf Mord in acht Fällen. Das Landgericht Lüneburg hat gestern nach insgesamt 246 Verhandlungstagen Horst Czerwinski in sechs Fällen freigesprochen. Die ZeugInnen zu diesen sechs Mordtaten seien stark verunsichert gewesen, hätten die Orte der Taten und auch die Zahl der Opfer nicht mehr genau nennen und zum Teil nur Gehörtes berichten können, begründete der Kammervorsitzende gestern die Freisprüche.

Der heute 66jährige Czerwinski war 21 Jahre alt, als er 1944 Kommandant der 700 Häftlinge des Lagers Lagischa wurde. Erst 25 Jahre später nahm die Frankfurter Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem großen Frankfurter Auschwitz-Prozeß erstmals Ermittlungen gegen Czerwinski auf. Zwei im Sommer 1975 und im Sommer 1982 begonnene Prozesse konnten gegen Czerwinski nicht zu Ende geführt werden, da der Angeklagte herzkrank wurde. Auch das nun dritte Verfahren vor dem Lüneburger Landgericht hatte bereits im März 1985 begonnen. Über zweihundert ZeugInnen aus allen Teilen der Welt hörte das Gericht.

Für die Verurteilung waren schießlich vier ZeugInnen ausschlaggebend. Das späte „Lebenslänglich“ geht dabei maßgeblich auf einen Irrtum des ehemaligen Blockführers von Lagischa, Josef Schmidt, zurück. Dieser hatte in der Annahme, sein Kommandant Czerwinski befinde sich nicht mehr am Leben, bereits 1970 der Frankfurter Staatsanwaltschaft geschildert, wie er Czerwinski seine Pistole übergeben hätte und dieser damit einen der sowjetischen Gefangenen von hinten in den Kopf geschossen hätte. Als er selbst in dem ersten Verfahren dann mit Czerwinski vor Gericht stand, hatte Schmidt auf Anraten von Czerwinskis Verteidiger die Aussage widerrufen. Erst angesichts eines Ermitllungsverfahrens wegen Falschaussage kehrte er in Lüneburg zu seinen ursprünglichen Angaben zurück.

Dieser Mord wurde vor Gericht auch durch die Angaben des ehemaligen Lagerschreibers Alfred Belan bestätigt, der „auf der Flucht erschossen“ in die Karteikarte des Getöteten eintragen mußte. Bei der zweiten Mordtat stützte sich das Gericht auf die Angaben zweier damals 15 beziehungsweise 17 Jahre alten Häftlinge, denen sich diese „Extremsituation unauslöschbar ins Gedächtnis eingegraben hatte“, wie es der Kammervorsitzende Diederichs in der Urteilsbegründung formulierte.

Die Verteidiger von Horst Czerwinski, die ihn schon über ein Jahrzehnt beraten, kündigten bereits während der Urteilsverkündung Revision an.