: Gastkommentar: Denunziation nach Springer-Art
■ Die Verstrickung der 'Welt' in eine Koalition von Ignoranz und Menschenverachtung
GASTKOMMENTAR
Es ist wie vor fast zwei Jahrzehnten. Auch damals waren es 'Welt‘ oder 'Bild‘, die, gefüttert aus unausgewiesenen Quellen, mit angeblichen Enthüllungen aus dem Intimleben der „Baader-Meinhof-Bande“ aufwarteten. Regelmäßig wie das Ungeheuer von Loch Ness, wenn die Ferien näher rückten und die Menschen lieber von der Sonne als von Politik träumten, brachten diese Blätter das, was sie als Enthüllungen aus der Terrorszene verkauften. Wie in jener Zeit sind die Anwälte der Gefangenen das zusätzliche, wenn nicht eigentliche Ziel der Denunziationen. Heute allerdings kommen die von der SPD geführten Landesregierungen, der Berliner Koalitionspartner AL und die Grünen dazu.
Das Schema ist alt: Die Quelle der „Protokolle“ bleibt im dunkeln. Es entzieht sich jeder Nachprüfung für den kritischen Leser, wer (Staatsschutz?, Verfassungsschutz?) protokolliert hat und ob es Gedächtnis- oder Wortprotokolle sind, ob sie rechtmäßig, das heißt mit Wissen der Gefangenen oder heimlich, zustande gekommen sind.
Die „Dokumentation“ selbst ist ohne inhaltlichen Wert: Die Tatsache der Telefongespräche ist allgemein bekannt. Daß die Gefangenen bei diesen Gesprächen ihre Einschätzung der Lage und etwaige Taktiken, und zwar mit ihren Worten, erörtern würden, war ihr offen erklärtes (und von allen Beteiligten, auch den CDU-Ministerien genehmigtes) Ziel.
Und was hätten die politisch und juristisch verantwortlichen Minister und ihre Beamten ohne die Anwälte tun können, die allein das Vertrauen der Gefangenen hatten? Es ist in höchstem Maße abgefeimt und Ausdruck einer totalitären Denkweise, diese Kolleginnen und Kollegen zum einen als bevollmächtigte Gesprächspartner zu akzeptieren, ja geradezu zu suchen, und sie später unter Zuhilfenahme der 'Welt‘ als „Verstrickte“, also wohl doch als Komplizen ihrer Mandanten, zu diffamieren.
Die 'Welt‘ und ihre Informanten verfälschen darüber hinaus die Tatsachen: Es war nicht die Härte der CDU-regierten Länder, sondern das Verantwortungsbewußtsein der Gefangenen und ihrer Anwälte, wodurch das Ende des Hungerstreiks in erster Linie herbeigeführt werden konnte.
Die Gefangenen haben, jedenfalls zum Teil, vermittelt durch vielfache Gespräche, auch mit Bischof Kruse, die richtige Einschätzung gehabt, daß manch ein Unionspolitiker nur darauf gewartet hat, die SPD-(AL-)Länder angesichts der mit Sicherheit zu erwartenden weiteren Toten inner- oder außerhalb der Gefängnisse in höchste Schwierigkeiten geraten zu sehen.
Ihre lange praktizierte „Endsiegmentalität“, abgelegt zu haben ist für viele wirklich am inneren Frieden Interessierte das wichtigste - positive - Signal der Gefangenen. Das Bundeamt für Verfassungsschutz und manche Staatsschützer teilen längst diese Ansicht. Andere dagegen, und augenscheinlich nicht zuletzt die 'Welt‘, fürchten offenbar um den Bestand des alten hochwillkommenen Feindbilds, mit welchem trefflich das zu machen ist, was einstmals Zimmermann und seine nachfolgenden Parteigänger als „Sicherheitspolitik“ bezeichnen lassen.
RA Klaus Eschen, Berlin
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