: Endlich: Letzter Spatenstich in Wackersdorf
■ BI feiert „die Vertreibung aus dem Paradies“ und macht sich zu neuen Ufern auf: La Hague und Sellafield
Tag X in der Oberpfalz. Nach dem ab heute geltenden Baustopp werden auf der teuersten Baustelle der Republik die verwertbaren überreste eingesammelt. Das „wichtigste Industrieprojekt dieses Jahrzehnts“ (Ernst Albrecht) wird eingemottet und für den Müllhaufen der Geschichte vorbereitet. Ende, Schluß, Feierabend. Während die WAA -GegnerInnen die Sektflaschen entkorken, singt die SiemensAG schmutzige Lieder und fordert das „Festhalten an Wackersdorf“. (Siehe auch Kommentar S. 8.)
Langsam drehten sich im Nieselregen die Kräne, Betonfahrzeuge ratterten durch die Hauptzufahrt, und Fernsehteams aus dem In- und Ausland meldeten sich an der gutbewachten Pforte der Riesenbaustelle. Doch nur noch „Konservierungsarbeiten“ werden an den fast fertiggestellten Brennelementeeingangslager, dem Modulteststand, der Zentralwerkstatt und der Anlagenwache vorgenommen. Ab heute wird das über 100 Mann starke Wachpersonal der Firma „Security Service Kötter“ statt der Baustelle eine 2,6 Milliarden Mark teure Bauruine rund um die Uhr zu bewachen haben.
„Das ist doch Scheiße“, erklärt der „Security„-Mann an der Hauptzufahrt zum Baugelände. Gleich neben ihm steht die von roten Farbbeuteln mehrfach getroffene Bautafel mit dem Bild der in idyllisches Grün eingebetteten WAA. „Momentan sind wir noch beschäftigt, aber wie es weitergeht“, weiß der Wachmann nicht. Da könne man eben nichts machen, fügt er schicksalsergeben hinzu. Seine Kollegen auf der gegenüberliegenden Seite des Zauns sind ebenfalls bedrückt. „Mies“ sei die Stimmung, schildern die beiden, die extra aus dem Bayerischen Wald nach Wackersdorf gekommen waren. „Wenn hier nichts Atomares mehr herkommt, dann brauchen sie doch nicht mehr soviel Personal.“
Doch in der Oberpfalz glaubt kaum mehr jemand den Beteuerungen der bayerischen Staatsregierung, daß auf dem WAA-Gelände jetzt mit Sicherheit keine atomare Anlage mehr entstehen werde. Zuviel Mißtrauen hat das langjährige Tauziehen um die WAA geschaffen - meist ein gesundes. Irene Maria Sturm, Sprecherin der Schwandorfer BI, befürchtet eine mögliche Nutzung des Geländes als Zwischen- oder Endlager, „solange das fertige Brennelementeeingangslager mit dem Sicherheitszaun hier steht“. Dem von der Atomwirtschaft als jüngste Errungenschaft angepriesenen „europäisierten Entsorgungskonzept“ (mit den Wiederaufarbeitungsanlagen im französischen La Hague und dem britischen Sellafield) stellt die Schwandorfer BI ihre „Europäisierung des Widerstands“ entgegen. Morgen wird Didier Anger, Vertreter der BI von La Hague, in Schwandorf ein treffen.
Und in Schwandorf soll solange weitergekämpft werden, „bis die DWK ihre sieben Sachen packt und auf Nimmerwiedersehen verschwindet“. Das Motto, unter dem die WAA-GegnerInnen noch gestern nachmittag mit Sekt, Bier und Brezeln direkt am Bauzaun gefeiert haben, hieß denn auch Die Vertreibung aus dem Paradies.
Ein Hierbleiben der „DWK Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf GmbH“, „wenn auch unter einem anderen Namen“, erhofft sich dagegen Max Politzka, WAA-Protagonist im Wackersdorfer Gemeinderat. Genau an dem Tag, an dem um 17 Uhr nachmittags die Bauarbeiten eingestellt worden sind, hat Politzka zusammen mit sechs anderen sozialdemokratischen Gemeinderäten und dem SPD-Bürgermeister Josef Ebner sein Parteibuch zurückgegeben, nachdem die Partei beschlossen hatte, für die nächsten Kommunalwahlen 1990 keine Listenplätze mehr mit WAA-Befürwortern zu besetzen. Bürgermeister Ebner will nun mit seinen Mannen auf einer eigenen Liste den Einzug in den Gemeinderat erneut schaffen.
Er war wie alle in der Region vom Baustopp nicht mehr überrascht, will jedoch die Energieversorgungsunternehmen an ihre „moralische Verpflichtung“ gegenüber dem Standort erinnern. Genau wie alle anderen umliegenden Gemeinde- und Stadtoberhäupter fordert Ebner eine entsprechende Entschädigung für die von der DWK versprochenen 1.600 Arbeitsplätze. Doch Ebner weiß auch, daß „es nichts Einklagbares gibt“. Die WAA-GegnerInnen warnen bereits davor, „Hals über Kopf irgendwelche Industrien auf dem Gelände anzusiedeln“. Eines der größten Trinkwasserreservoirs Süddeutschlands befände sich hier.
Nicht nur bei der Frage der Entschädigung wird die Gemeinde Wackersdorf auch weiterhin auf das Wohlwollen der WAA -Betreiber angewiesen sein. Mit etwa fünf Millionen Mark ist sie bei ihr verschuldet. Seit 1986 hatte Wackersdorf als zinslose Darlehen deklarierte Gewerbesteuervorauszahlungen einkassiert. Die erste Rate sollte eigentlich schon dieses Jahr zurückgezahlt werden, konnte jedoch auf 1990 verschoben werden. Ebner schmunzelt: „Ja, unsere finanzielle Leistungsfäigkeit ist einfach gering.“ Er erwartet insgeheim, daß die Rückzahlung erlassen wird.
Ebner hofft für die Zukunft auf eine Befriedung der Region. Als Signal dafür läßt er jetzt die seit Jahren auf dem Wackersdorfer Rathaus prangende Sprühschrift: „WAA - Arbeit, die tötet“ übertünchen.
Die WAA-GegnerInnen wollen von Befriedung und Versöhnung noch nichts wissen. „Wir kämpfen weiter“, lautet die Losung für die Demonstration am 3. Juni in München, und Michael Wilhelm von der Schwandorfer BI ist optimistisch. „Die WAA haben wir geschafft, jetzt greifen wir das nächste an.“ Er verweist auf die 1.500 Mitglieder, die die Schwandorfer BI zur größten Bürgerinitiative der Republik machen. „Wir wären ja blöd, wenn wir jetzt aufhören würden“, betont Wilhelm. Die BI-Sprecherin Sturm rechnet damit, daß höchstens ein Viertel der BI-Mitglieder sich jetzt von der politischen Arbeit zurückziehen wird, andere - wie die Schwandorferin Erna Wellnhofer - haben schon begonnen, sich in andere Themen einzuarbeiten. Sie will in Zukunft gegen die Ausländerfeindlichkeit aktiv werden.
Bernd Siegler
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