Christen-Blut gegen Raketen

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(Im Kontext, Mittwoch, 22.15 Uhr, ZDF) Jean Gump sitzt. Aber nicht in ihrem Haus in einem Suburb Chicagos, um dort mit ihrem Mann und zwölf Kindern den Lebensabend zu genießen. Jean Gump sitzt seit Jahren in einem Gefängnis in Westvirginia, „im Loch“, 23 Stunden am Tag isoliert, weil sie sich weigerte, vor einem Wärter zu pinkeln. Wenn sie rausgeht, werden ihr Handschellen angelegt. Vor der Kamera sitzt sie nun ohne, eine kleine, weißhaarige 59jährige Frau, gläubige Katholikin, die Sätze sagt wie: „Ein Gefängnis ist der richtige Ort für einen Christen.“ Am Karfreitag 1986 begab sie sich mit zwei Freunden auf das Gelände eines der vielen Silos im amerikanischen Midwest, wo über 1.000 Interkontinentalraketen gelagert sind. Sie durchschnitt Kabel und Drähte, die anderen schlugen mit Hämmern auf Schienenstränge ein. Die Aktion wurde gefilmt. Drei Leute gegen eine Megamaschine. Dann rollt ein Panzerwagen an und alle - auch das Kamerateam - werden verhaftet. Ihr Anwalt erklärt, warum sie wegen „Verschwörung gegen die Verteidigung“ und „Zerstörung von Regierungsmaterial“ 13 Jahre bekam, die der Richter auf elf reduzierte. Sie bereut nichts. Atomwaffen seien für sie kein Besitz, sondern ein „unsittliches Ding“. Die Entwaffung einer Waffe sei „göttlicher Gehorsam“ und Pflicht gegenüber der Nachgeborenen-Generation.

Schnitt: 2.000 Kilometer entfernt hat ihr Mann im Gefängnis von Sandstone in Kansas auch eine Antwort parat: Im moralischen Sinn sei eine 1,2-Megatonnen-Bombe, die drei Millionen Menschen töten könne, kein Ding mit Existenzberechtigung. Joe Gump wurde am 42. Jahrestag von Hiroschima aktiv. Er und Freunde schlugen mit ihren Hämmern auf eine Raketenabschußstelle ein und malten mit ihrem eigenen Blut ein Kreuz auf das Eisen. „Hammer und Blut“ und ein eiserner Wille kennzeichen die Aktivisten. Sie akzeptieren Gewalt gegen Dinge, denn nicht die Vernichtung der Waffen sei ein Verbrechen, sondern deren Herstellung. Sie seien eine „Gefahr für die Gesellschaft“, urteilten daher die Richter und haben die vier Dutzend Aktivisten in den letzten zehn Jahren zu martialischen Strafen bis zu 18 Jahren, u.a. wegen Sabotage, verurteilt.

Meine Sympathien schwanken. In der Tradition zivilen Ungehorsams stehend, bedrückt gerade die religiöse Verve. Das Recht auf individuelle Gewissensbefriedigung trägt pathologische Züge und wird zur Egomanie. „Wir drei hier sind wahrscheinlich freier als das Kamerateam hier“, sagt Joe Gump ganz am Schluß des Films. Kein Moment des Zweifels. Nur einer deutet an, er würde lieber heute als morgen raus aus dem Knast. Karin Storch hat sich voll und ganz auf die „Pflugschar„-KatholikInnen eingelassen. Ansätze kritischer Fragen gleiten an ihnen ab und werden nicht weiterverfolgt. Eine halbe Stunde lang hört man nur diese eine „göttliche“ Stimme. Und der Kontext? Karin Storch hat sich distanzlos aufsaugen lassen.

Andrea Seibel