piwik no script img

LIBERTE EGALITE SORRORITE

■ Nachschlag zum 14.Jahrestag des Generalstreiks der französischen Prostituierten

Solange wir selbst die Reklame bezahlen müssen, die der Staat bezahlen müßte, sind Fotos oder Interviews nur gegen Bezahlung möglich“, so die maskierten Damen von der Potse, die sich vor der BAR JEDER EROTIK versammelt hatten und PassantInnen wie Presse auf der Straße anmachten. Hinter der Bar arbeitete sich ein gigantisches, aufgeblasenes rosa Kondom mit einer kleinen Extratüte an der Spitze nach oben, auf dem zu lesen war: „Wenn du zum Weibe gehst, vergiß den Gummi nicht!“

So geschehen im Potsdamer Ableben, einem Krimi von Pieke Biermann. So aber auch jederzeit vorstellbar als Straßenaktion der Berliner Prostituierten zum Gedächtnistag des Gewerbes am 2.Juni, der letztes Jahr von Nutten&Nüttchen zum ersten Mal gefeiert wurde. Mit diesem Tag soll an den Generalstreik der französischen Kolleginnen 1975 erinnert werden, und mit diesem Tag soll auch ein Stück Geschichte der Prostis geschrieben und Traditionen der neuen Frauenbewegung gefeiert werden. Denn 1975 war nicht nur das UNO-, due, tre „Jahr der Frau“, sondern auch die Geburtsstunde einer organisierten politischen Prosti-Bewegung.

„Prostitution ist Männersache“?

Der Protest der Französinnen in Lyon resultierte aus den gehäuft auftretenden und selten aufgeklärten Morden und Gewalttätigkeiten an Prostituierten sowie den zunehmenden Repressionen seitens des Staates, die unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen die Zuhältersyndikate“ durchgeführt wurden. Dazu gehörten erhöhte Bußgelder wegen „zur Unzucht auffordernden Verhaltens“, brutale Behandlungen durch die Polizei (die mehrmals täglich kassierte) und auch rückwirkende Steuerbescheide, wobei die Höhe nach einem fiktiven Durchschnittseinkommen geschätzt wurde. Die angeblich „mafia-artig organisierten Herren der Zuhälterei“ wurden dagegen nicht zitiert oder „mangels Beweisen“ entlastet. Im April 1975 beschlossen die Lyoner Prostis einen Forderungskatalog und wandten sich damit an die Öffentlichkeit. Das gerade eingerichtete Frauenministerium lehnte eine Unterstützung mit der Begründung ab, „Prostitution sei Männersache“ und verwies auf den Innenminister, der gleichzeitig oberster Dienstherr der Polizei war. Nachdem die ersten Verhaftungen nach einem alten ausgegrabenen Gesetz stattfanden, planten die Frauen eine Besetzung, die „brutalen Polizeieinsatz verhindert, spektakulär ist und nach ernstzunehmender Revolte aussieht“. Sie wollten sich nicht mit einer Straßendemo wie 1973 begnügen, als sie gegen Maßnahmen protestierten, die nach Aufdeckung von hohen Polizisten im Zuhältergeschäft erlassen wurden. Ein Kirche schien der geeignete Ort, um auf die Doppelmoral der Gesellschaft hinzuweisen, die auf der einen Seite Huren braucht, ihnen aber andererseits keine Rechte zugesteht. Während die Prostis in Wirklichkeit die Kirche in St. Nizier besetzten, wurde die Polizei mit einem Ablenkungsmanöver in einer anderen Kirche irregeführt.

Mit Gott gegen Staat

Der Pfarrer begrüßte die Freudenmädchen im Haus des Herrn und unterstützte wie die anderen GotteshausbesucherInnen die Forderungen der Frauen. Die Regierung zeigte jedoch keine Reaktion. Daraufhin begann ein Generalstreik der Prostituierten, der sich von Paris bis Marseille in den Städten ausbreitete, somit internationale Dimensionen annahm und internationales Aufsehen erregte. Der Staat als erklärter Gegner der Frauen konnte sich den Vorwurf, „er sei der größte Zuhälter“ nicht gefallen lassen und versuchte, die Revolte abzuschmettern, indem sie als organisierte Aktion der Zuhälter bezeichnet wurde. Die Sympathien der Bevölkerung sollten so zerstreut und die Frauen wieder in die Unsichtbarkeit zurückgedrängt werden. Am 10.Juni wurde die besetzte Kirche geräumt.

Inzwischen hatten sich aber in mehreren Städten Gruppen gebildet, die der Regierung einen Strich durch die Rechnung machten. Ein internationales Komitee Prostition wurde gegründet (unter anderem mit Simone de Beauvoir), Kontakte zum Ausland geknüpft, zum Beispiel zu COYOTE (Call of your old tired ethics), eine Gewerkschaft, die am Muttertag 1973 entstand) und die 1.Nationalversammlung abgehalten, auf der bis heute aktuelle Gesetzesvorlagen erarbeitet wurden:

-Arbeit: keine Sperrbezirke, Bußgelder, Strafen, keine Kartei, Abschaffung aller diskreminierenden Gesetze und keine Polizei

-Finanzen: Besteuerung wie bei freien Berufen

-Gesundheit / Soziales: Vernichtung der „Bockscheine“, kostenlose Untersuchungen, freie Wahl der ÄrztInnen, voller Status als Staatsbürgerin, das heißt Kranken-, Sozialversicherung, Lohnausfall etc.

Seit den 70ern hat sich die Bewegung über die Grenzen aller Huren Länder hinweg verstärkt (Gründung von Gewerkschaften, Parteien, Weltkongressen und anderem).

„Zum Wohl der Betroffenen“

Das zunehmend selbstbewußte Auftreten der Prostis und die Herausbildung einer Bewegung hat seine Wurzeln zum einen in der Frauenbewegung, zum anderen in der englischen Abolitionsbewegung Ende des letzten Jahrhunderts, was gerne von der männlichen Geschichtsschreibung unterschlagen wird. Parallelen zu den heutigen Forderungen und Argumenten der Prostis lassen sich finden. Damals kämpften Prostituierte, „anständige“ Frauen und „fortschrittliche“ Männer gegen die Prostitutionsgesetze und erwirkten 1883 die Abschaffung der Gesetze über ansteckende Krankheiten. Auch damals wurde der Staat als Betreiber von Bordellen angeklagt. Während aber in England diese Gesetze außer Kraft gesetzt wurden, dienen sie hier nach wie vor als Grundlage für die staatlichen Beratungsstellen, für die „Sozialarbeiter zum Wohl der Betroffenen“. Sozialpädagogische Ansätze sind immer mit Kontrolle und behördlichen Zwangsmaßnahmen verbunden. Darin liegt auch die Gefahr der sogenannten (Berliner) „weichen Linie“, die Beratung und vor allen „Resozialisierung“ von Prostis vorsieht, aber diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen an einem Ausstieg nicht interessiert sind, weiterhin ghettoisiert.

In den 80ern gab es in der BRD nicht zuletzt unter dem moralischen Einfluß von AIDS und den Sperrgebietsverordnungen eine regelrechte Gründungswelle von Selbsthilfeprojekten, nachdem als erste 1980 Hydra den langen Weg zur staatlichen Anerkennugn geschafft hatte. Allein in Berlin existieren mittlerweile drei Initiativen: Nutten&Nüttchen, Hetären-Gesprächskreis und Hydra. Die bundesweiten Projekte, die da HWG (Huren wehren sich gemeinsam, in Frankfurt), Solidarität Hamburger Huren, Kassandra, Lysistrata, Lüstern, Straps&Grips und so weiter heißen, verfolgen unterschiedliche Konzepte: So konzentrieren sich die einen mehr auf Aussteigemöglichkeiten oder umfassende Beratung in allen Angelegenheiten (Schulden, rechtlichen Beistand etc.), andere legen den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Stärkung des Selbstbewußtseins im Kampf um ihre Rechte oder gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Auf den seit 1985 zweimal jährlich stattfindenden Hurenkongressen, die die verschiedenen Gruppen vernetzen, wird dann über Schwierigkeiten und Probleme der laufenden Arbeit und über Strategien für die Zukunft diskutiert.

Nach wie vor werden in der Öffentlichkeit immer noch Prosti -Gruppen mit Hydra beziehungsweise deren Aussteigeprogrammen gleichgesetzt, was natürlich politische Konsequenzen hat und zum Teil auch aus der offiziellen Politik der Diskreminierung und Rechtlosigkeit von Prostituierten resultiert. Andere Ansätze werden von öffentlichen Stellen nicht finanziert oder nur unter hohen Auflagen unterstützt.

Immer wieder stellt sich damit auch die Frage der Legalisierung, um zumindest einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Lohn für geleistete Arbeit zu besitzen (bisher dürfen Freier die Zeche prellen!). Problematisch bleibt eine größere staatliche Einflußnahme, in den Niederlanden werden gerade von Kolleginnen des Roten Drahts im Zuge der Entkriminalisierung von Prostitution Erfahrungen mit „idealen Bordellbetrieben“ gesammelt.

Ein wichtiges Thema bleibt der sogenannte Sextourismus in der Dritten Welt und die Arbeitsbedingungen der ausländischen Prostituierten. Rechtzeitig zur Sommersaison wäre zum Beispiel eine ständige Flugbegleiterin in den Bumsbombern der Neckermänner vonnöten, die die Herren Touristen im Anlegen eines Gummis und im anständigen Benehmen gegenüber Frauen allgemein aufklärt. Öffentlichkeitsarbeit muß jedoch die dringlichste Aufgabe der Bewegung sein. Unter anderem durch die Pornodebatte und die Virusinfektion wird Prostitution verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert. Fakt ist aber auch, daß angesichts der Arbeitslosigkeit immer mehr Frauen anschaffen gehen (müssen) und/oder sich der sexuellen Ausbeutung im Haushalt und außerhalb verweigern. Infolgedessen ist der Bedarf der Männer an Prostitution steigend, für die Aufrechterhaltung der Heterosexualität muß zunehmend Geld investiert werden. Die Trennung von Huren und Heiligen, „leichten“ und „soliden“ Frauen funktioniert nicht mehr. Schlußendlich sind wir alle Nutten und Nüttchen.

Barbara Merzinger (Hetären-Gesprächskreis)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen