: Wer sind die besseren Besetzer?
■ Gleich zwei Besetzergruppen unabhängig voneinander in der Lehrter Straße 50/51 Symbol gegen Abriß für die einen, Erlösung aus der Obdachlosigkeit für die anderen
Seltenes Interesse an der Lehrter Straße in Moabit: Gleich zwei voneinander unabhängige Gruppen besetzten gestern die Häuser Nummer 50 und 51. Wollten die zehn Mitglieder der Mieterinitiative „Für eine billige Prachtstraße“ die leerstehenden Bauten nur symbolisch in Beschlag nehmen, so setzten unbekannte Wohnungssuchende die Symbolik zeitgleich in die Tat um. Sie besetzten kurzerhand zwei Wohnungen in der Lehrter Straße 51. Da die oberen Gänge des Hauses zugemauert sind, waren die Besetzer vom Hinterhaus aus über das Dach zum vorderen Trakt geklettert. Dort richteten sie sich im obersten Stockwerk häuslich ein und ließen sich nicht blicken. Die angebliche Begründung der Besetzer: Sie hätten Angst vor einer Kriminalisierung, obwohl die neue Behausung nur aus Wohnungsnot von ihnen besetzt worden sei. Wie die Besetzer ihren Kollegen von der Initiative für eine billige Prachtstraße mitteilten, hätten sie sich zuvor bei dem Eigentümer vergeblich um Wohnungen beworben.
Während die Dachkletterer unbehelligt in ihrem Horst unter dem Dach der Lehrter Straße 51 weilten, stand die Konkurrenz recht verdutzt auf der Straße herum. „Das ist, wie wenn zwei Bankräuber wissen, daß im Tresor jede Menge Geld liegt, und sie die Knete unabhängig voneinander klauen wollen“, stellte Thomas, einer der beiden letzten Bewohner von Nummer 51, fest. Er sowie der weitere Mieter hatten am Donnerstag eine Räumungsklage erhalten. Die Begründung des Eigentümers: Der ganze Gebäudekomplex werde abgerissen. „Die anderen Mieter sind umgesiedelt worden mit der Begründung, daß nur modernisiert werde und sie nachher wieder einziehen dürfen.“ Das sei jedoch, wie sich schon im letzten Jahr herausgestellt habe, eine Falschinformation, so Thomas. „Wenn hier die Bagger kommen, machen wir eine Menschenkette“, gibt er sich kämpferisch. Darin bestärken ihn auch die anderen Bewohner der Lehrter Straße. Die Initiative für eine billige Prachtstraße fordert statt Abriß eine Modernisierung der Mietshäuser. Gegen den Rammbock wolle sich, so eine Bewohnerin des Nachbarhauses, auch die Senatsbauverwaltung einsetzen, die jedoch in dieser Hinsicht noch nichts unternommen habe. „Die Abrißgenehmigung des Eigentümers ist nach wie vor aktuell“, verkündete sie. Diese existiere schon seit November letzten Jahres und schwebe wie ein Richtbeil über den beiden übriggebliebenen Bewohnern. „Deshalb wollten wir die Häuser symbolisch besetzen. Zum richtigen Besetzen sind wir zu wenig“, verriet die engagierte Nachbarin. Eine Frage, die im Raum stehenblieb: Wieviele sind dann die Besetzer im obersten Stock der Lehrter Straße 51?
cb
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