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Im Tegeler Knast beginnt es zu brodeln

■ Zwischen 67 und 230 Gefangene in Tegel verweigern seit Donnerstag die Arbeit und Annahme der Anstaltskost / Protestaktionen gegen miese Haftbedingungen in den Häusern II und III

Um bessere Haftbedingungen zu erreichen, haben Gefangene der Haftanstalt Tegel seit Donnerstag die Arbeit niedergelegt und die Annahme der Nahrung verweigert. Die Verweigerung der Anstaltskost bedeutet jedoch nicht, daß die Gefangenen in einen Hungerstreik getreten sind, sondern daß sie sich auf eigene Kosten selbst verpflegen. Während Rechtsanwalt Thomas Herzog von rund 230 Gefangenen sprach, die sich nach Angaben von drinnen gestern an der Aktion beteiligten, sprach Justizsprecher Achhammer davon, daß gestern 64 Gefangene nicht gearbeitet und 130 die Annahme der Anstaltskost verweigert hätten. An dem Streik sind ausschließlich Insassen der Häuser II und III in Tegel beteiligt, die im Vergleich zu den Insassen der übrigen Häuser in Tegel die mieseste Haftsituation haben. Das Haus II ist das sogenannte Aufnahmehaus, in das Gefangene auch strafverlegt werden. Das Haus III ist das ehemalige Zuchthaus, das auch Totenhaus genannt wird, weil hier vor allem lange und lebenslange Haftstrafen abgesessen werden. Auf einen kurzen Nenner gebracht, dominiert in beiden Häusern das alte Vollzugsprinzip „Hauptsache unter Verschluß“.

Die an der Protestaktion beteiligten Gefangenen sind Anwalt Herzog zufolge bereit, ihre Aktion abzubrechen, wenn die Punkte ihres umfassenden Forderungskatalogs erfüllt werden, die sich auf die unmittelbare Haftsituation in den Häusern II und III beziehen. Verlangt wird: ein täglicher Aufschluß der Hafträume bei geschlossenen Flügeltüren in der Freizeit zwischen 18 und 22 Uhr sowie die Abschaffung des Nachtverschlusses an Sonn- und Feiertagen um 16.45 Uhr. Außerdem wollen die Gefangenen eine großzügigere Regelung für den Aufentalt in den Freistundenhöfen erreichen und diese auch an Sonn- und Feiertagen von 8 bis 11 und von 13 bis 15 Uhr benutzen können. Last not least soll der große Freistundenhof des Hauses II wieder geöffnet werden. Letzterer ist laut Justizsprecher Achhammer bereits seit gestern wieder offen. „Die Anstaltsleitung legt Wert auf die Feststellung, daß das sowieso passiert wäre“, betonte Achhammer. Was die Erfüllung der übrigen konkret auf die Häuser II und III gemünzten Forderungen angehe, war Achhammer „optimistisch“, daß die Beteiligten bald zu einer „einvernehmlichen Lösung“ kommen werden.

Des weiteren erheben die Gefangenen Forderungen wie Einstellung von „fach- und sachkompetenten Sozialarbeitern mit Eigenverantwortungsspielraum“ sowie Abschaffung der Zwangsarbeit und Tariflöhne. Nicht Bestandteil des Forderungskatalogs, aber wesentlicher Grund für die Gefangenen, die Prostaktion aufzunehmen, ist nach Informationen der taz die Tatsache, daß der derzeitige Leiter der berüchtigten Tegeler Sicherheitsgruppe Seider ab 15. Juni neuer Leiter des Hauses II wird. Zum stellvertretenden Leiter des Hauses II wurde der bisherige stellvertretende Leiter der Abteilung Sicherheit Reuthe bestellt. Anwalt Herzog wußte von Gefangenen, daß Reuthe bereits im Haus „umgeht“ und Druck macht, daß die Gefangenen wieder zur Arbeit gehen.

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