: Swinging Metropolis
■ 30. Tanz den Mabuse
Das Komponistenduo Beckmann/Kreuder näher zu beleuchten, lohnt. Texter Fritz Beckmann kann als exemplarisches Beispiel dienen für den Drahtseilakt zwischen offiziellen Richtlinien & individueller Freiheit. Klammheimlich schreibt er einen „Sylvestergruß 1936“ an Erich Kästner: „Herr Kästner, lassen Sie sich sagen: / Mir ist so schlecht, wie Ihnen öfters war. / Ich zog Bilanz aus den vergang'nen Tagen. / Sie wissen schon? / Alsdann: Ein frohes neues Jahr!“
Andererseits bringt ihm dies frohe neue Jahr einen Auftragsmarsch für den Staatsakt am 1. Mai. Das für NS -Hymnen obligate Holpern führt Marus Pacher auf Beckmanns „pragmatischen Zynismus“ zurück, was bei Betrachtung der GesamtFigur durchaus einleuchtet: „Es schallt ein Ruf von Nord nach Süd, / der strahlend hell erklingt. / Der Ruf ist unsres Führer Wort, / das in die Herzen dringt. / Fünfundsiebzig Millionen - ein Schlag, / das soll bestreiten, wer mag. / Im Gleichklang der Herzen / liegt der Wille und die Kraft. / Das Volk ist unsterblich, / das die Einigkeit sich schafft! / Deutschland, für dich kam der Tag: / Fünfundsiebzig Millionen - ein Schlag.“ Nach fünf derartig nazibesoffenen Zeilen kann er sich eigentlich nur noch einem angemessenen Potatorium (Suff ist gemeint, d.Korr.) hingegeben haben; Peter Kreuder braucht wenigstens bloß einmal Vers & Reim hinzuzukomponieren.
Daß so was Hehres von Unterhaltungsautoren gefertigt werden „darf“, ist Hitlers Vorliebe für Kreuders Musik zu verdanken, sammelt er doch dessen Platten ebenso eifrig wie die Richard Wagners. Und erwähntes Pietschen besitzt auch tiefen Hintergrund, alldieweil Beckmann seine Depressionen mit geschlechtlicher & automobilistischer Exzessivität sowie mit Tage & Nächte währenden BarhockerSitzungen zu kompensieren pflegt. Seine DennochProduktivität in Sachen Schlagertexterei erklärt er selbst: „So eine Arbeit kann zwanzig Minuten dauern oder acht Tage. Aber unter uns gesagt: Meistens dauert sie acht Tage, und nicht selten muß ich dann noch um ein oder zwei Zugabetage bitten.“
Rückt der Termin bedrohlich nahe, zuckelt Kreuder gleichfalls kein Ächter des Amüsements - los, seinen versackten Texter aus Kneipe oder Bett zu zerren. Pacher selbst SchonkostLüriker und somit einer, der's wissen muß beschreibt den üblichen Vorgang wie folgt: „Der Dichter wird mit den nötigen Stimulantien versehen und eingesperrt, schiebt jeden fertigen Text unter der Tür durch und produziert in kürzester Zeit drei bis vier Nummern. Auf der Fahrt nach Babelsberg fragt er Kreuder besorgt: 'Hast du die Musik fertig?‘ Kreuder nickt überzeugend, obwohl er noch keine einzige Note zu Papier gebracht hat. Dann sitzt er vor versammeltem Produktionsteam am Flügel, greift in die Tasten - und in diesem Moment bekommt der Einfall, den er bislang nur im Kopf entwickelt hat, musikalische Gestalt.“
Einer dieser Einfälle ist immer mal wieder zu besichtigen im Film Glückskinder von Paul Martin & Curt Goetz. Die MusicalSzene „Ich wollt, ich wär ein Huhn“, zelebriert von Lilian Harvey, Willy Fritsch, Paul Kemp & Oskar Sima, ruft förmlich zum Müßiggang auf. Gekalauert wird dabei, als befände man sich noch mitten in den Zwanzigern: „Ich wollt, ich wär ein Hühnchen, dann flöge ich nach München“ oder „Ich wollt, ich wär Clark Gable mit Schnurrbart und Säbel“. Kurz davor hatte sich die Harvey bei einem Unfall auf der Avus mehrere Frakturen zugezogen; keiner merkt, daß sie mit eiserner Schiene am Bein tanzt, mit langem Rock & eisern diszipliniert.
Ein anderes Schlagergenie aus den Filmstudios ist Bruno Balz. Kann denn Liebe Sünde sein schreibt er Zarah Leander keinesfalls auf den Leib. Sie singt im Blaufuchs, nachdem Hilde Hildebrand das Schubladenprodukt abgelehnt hat. Als Detlef Sierck für La Habanera das passende Verswerk auf Lothar Brünes große Schicksalsmelodie sucht, ruft er Balz als FeuerwehrTexter. Der haut drei RefrainVarianten aufs Blatt. Keine will so recht gefallen, und um dem Spiel ein End zu bereiten, tippt Zarah, kurzsichtig & gottergeben, auf einen beliebigen: „Der Wind hat mir ein Lied erzählt wird zum Riesenerfolg in diesem Leandertal.
Erzeugt manches, was da in Babelsberg entsteht, zumindest Stirnrunzeln in braunen Kreisen, so schlägt die Zensur anläßlich eines Fritz-Lang-Filmes erstmals konkret zu, knapp zwei Monate nach der Machtergreifung, auf den Tag genau siebzehn Jahre vor Norbert Tefelskis Geburt. Vom Testament des Dr. Mabuse ist die Schreibe, und voller Stolz heftet sich der Spielleiter dies Verbot ans Revers. „Dieser Film sollte - wie in einem Gleichnis - Hitlers Terrormethoden aufzeigen. Die Parolen und Glaubensartikel des Dritten Reiches sind hier Verbrechern in den Mund gelegt. Damit hoffe ich, diesen Lehren, hintern denen sich der Wille zur Zerstörung all dessen verbarg, was einem Volke wert und teuer ist, die Maske abzureißen.“ So übertreibt er 1943 in New York. Gregor/Patalas bestätigen diese politischen Bezüge, ebenso Heiko R. Blum, der auf folgende Analogie hinweist: „Hitler hatte Mein Kampf in der Internierung in Landsberg geschrieben, Mabuse schreibt sein Lehrbuch des Verbrechens in der Zelle - Vergleich und Widmung sind unmißverständlich.“
In Zensur - Verbotene deutsche Filme 1933-1945 verweisen Kraft Wetzel & Peter Hagemann all dies in den Bereich der wohlmeinenden Legende, belegen überzeugend, daß Lang mit dem Streifen nie widerständlerische Absichten verfolgte, unter anderem mit einem früheren Brief des Regisseurs. Zum Verbot führt also keine Hitler/Mabuse -Parallele, sondern - zu großen Teilen - die Berührungsangst der „gesunden deutschen“ Vorturner mit psychisch Kranken (im Zentrum der Mabuse-Story steht mentale Instabilität). Weiters macht ihnen die hier dargestellte, umfassende Verbrecherorganisation als Staat im Staate Kummer. „Das Vermächtnis Mabuses hätte ihre ganze polizeilich gesicherte Welt aus den Angeln gehoben!“ heißt es am Ende, worauf Goebbels gesagt haben soll: „Ich werde den Film deshalb verbieten, weil er beweist, daß eine bis zum äußersten entschlossene Gruppe von Männern, wenn sie nur ernstlich will, durchaus im Stande ist, jeden Staat mit Gewalt aus den Angeln zu heben.“
Norbert Tefelski
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