: Der Lothar lebt
Wie der Kapitän mit der Bimmelbahn zur Hauptperson auffuhr ■ PRESS-SCHLAG
De mortuis wird immer noch nihil nisi bene geredet; und das, seltsam genug, oft scheint's sogar aus Überzeugung, zumindest aus Selbstbeschwörung, aus einer Art todbedingter Autosuggestion des Guten heraus.“ Schreibt der hochverehrte Hans Mentz in seiner neuesten Humorkritik der 'Titanic‘.
Das mag für Literaten gelten und Politiker, für Musiker und sogar den Busfahrer Willi Mossop von nebenan. Fußballer haben's da anscheinend einfacher. Die müssen nicht erst den Löffel weglegen rsp. die Töppen an den Sargnagel hängen, damit ihnen jeder Krampf zur guten Tat interpretiert wird; selbst wenn sie sich geradezu mustergültig zur üblen Nachrede eignen wie Lothar Matthäus.
Fußballer müssen einfach nur umziehn. Wie der Lothar. Runtergmacht auf Italien hat er zur neuen Saison und Meister ist er worn vergangene Woch. Mit Inter. Und dann, wo er hätt können das Lob ernten und Schulterklopfen in Cardiff beim Länderspiel, war er gsperrt. Niemand hätt erfahren dürfen, daß der Lothar auch in Mailand spielt, wo mich der Drehner hiesdelld, und daß er unheimlich menschlich gereifd ist da unten, und der Italiener wirklich vorm Schbiel an Wein dringd.
Also hat er sich auf die Socken gemacht, der Lothar, und „ist eigens aus Italien angereist, über Düsseldorf nach London geflogen, dann drei Stunden mit der Bimmelbahn nach Cardiff“ ('Süddeutsche Zeitung‘). Nur immer fix durch die grüne walisische Landschaft und hinein in den Arms Park auf die Ehrentribüne.
Vor Monaten noch hätte jeder halbwegs vernünftige Mensch reißaus genommen vor dem salbadernden Unhold. Der Lothar sei ein Plappermaul, schrieben die Guterzogenen damals, für weniger Feine litt er schlicht an verbaler Diarrhöe, weil er zu allem und nix etwas zu sagen wußte und sein Kiefer angesichts von Mikrophonen stets mit motorischen Reflexen reagierte: der erste Sportler, der antwortete, bevor er gefragt wurde.
Vergessen heut. Der Lothar („der Kapitän“) habe nach Wales naufgemacht, war überall zu hören, alldieweil „im Team die Kameradschaft stimmt“ (ARD), wegen „dem wohligen Fußballgefühl der fünfziger Jahre: Elf Freunde müßt ihr sein“ (SZ). Solcher Gefühlsschwurbel muß arg aufs Kurzzeitgedächtnis drücken, denn wie sonst auf dem Rasen war der Lothar hinten und vorn plötzlich in allen Gazetten. Der Kapitän sagt, der Kapitän rät.
Und die 'Frankfurter Rundschau‘ taumelte gleich völlig geistverlassen in die Matthäusfalle: „Vom Grundsätzlichen her das interessanteste Fazit der Partie zog der als Zuschauer angereiste...“ - na, wer wohl? Genau, der Lothar. Und was muß der Grundsätzliches und Interessantes loswerden? „Wir haben versäumt, dem Spiel unseren Stempel aufzudrücken.“
Der Lothar lebt also, und nur de mortuis... (s.o.). Nichts Schlechtes auch über tote Hosen? So sei es (für heute).
Thömmes
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