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Volkshochschule in Sachen DDR-Umwelt

■ Der Erste Berliner Umwelttag in Ost-Berlin diente als Informations- und Diskussionsforum für Ökogruppen aus der ganzen DDR / Im nächsten Jahr soll ein gemeinsamer Umwelttag mit West-Berlin veranstaltet werden / DDR-Behörden werfen Wasser-Experten raus

Zwei Tage lang diente die Bekenntniskirche in der Plesserstraße in Berlin-Treptow (um)weltlichen Zwecken: Die Ersten Berliner Umwelttage, veranstaltet von der Gemeinde und dem unabhängigen grünen Netzwerk „Arche“ der DDR, hatte ökologisch-politisch interessierte und aktive Menschen aus der ganzen DDR in der schönen, roten Backsteinkirche versammelt. Gut 700 Menschen waren es, die für längere oder kürzere Zeit den Umwelttag besuchten, eine der Ausstellungen über die anliegenden Umweltprobleme - dieselben wie im Westen, von Asbest bis Zyanid - betrachteten oder an den Arbeitsgruppen über Luft, Wasser, Ozon, Stadtökologie und anderen Umweltthemen teilnahmen.

So wurde die Bekenntniskirche zwei Tage lang tatsächlich zur Arche: Während in den Wohnsiedlungen ringsum freizeitlich gekleidete DDR-Werktätige liebevoll zum Automobil, aber sorglos zur Umwelt, ihre Trabbis für die Fahrt hinaus ins Grüne polierten, sorgte man sich in der Kirche darum, daß es in der DDR immer weniger gesundes Grün gibt, das als Ausflugsziel noch lohnt, daß es immer weniger Gewässer gibt, in denen man noch gefahrlos baden kann, und immer weniger Orte mit gesunder Luft, an denen man zum Beispiel mit kleinen Kindern noch guten Gewissens Urlaub machen kann.

Daß sich diese Erkenntnisse außerhalb der Arche nicht sintflutartig im Bewußtsein der DDR-Bevölkerung verbreiten können, liegt unter anderem an der Geheimhaltungsstrategie der staatlichen Behörden, die Umweltdaten immer noch wie Militärgeheimnisse behandeln. So diente der Umwelttag vor allem der Information und dem Austausch der Gruppen und Aktivisten aus dem ganzen Land. Typisch für die Arbeitsgruppen waren materialreich vorbereitete Diavorträge vor dichtgedrängtem Publikum, in dem fast jeder einen Notizblock auf den Knien hatte und konzentriert mitschrieb. Die seitenlang notierten Informationen, Umweltdaten und Zahlen werden im Schneeballprinzip in den Arche-Gruppen in der ganzen Republik, ob in Halle, Rostock oder Jena, multipliziert, sie machen ebenso die Runde wie das kritische Magazin 'Arche Nova‘, von dem jedes Exemplar mindestens ein Dutzend Leser findet.

So machten die Umwelttage zuweilen den Eindruck einer ökologischen Volkshochschule mit Lehrenden und Lernenden. In der Arbeitsgruppe „Stadtökologie“ zum Beispiel wurde mit Dias der Verfall gewachsener Stadtsubstanz in vielen DDR -Städten vorgeführt. Ganze Stadtviertel, die wegen jahrzehntelang vernachlässigter Instandhaltung verrottet sind, werden jetzt per Kahlschlagsanierung abgeräumt. Statt dessen entstehen historisierende Betonplattenbauten vom Typ Nicolaiviertel, abschreckende und gleichzeitig mobilisierende Bilder für die Arche-Leute aus Berlin und Potsdam. Potsdam wird einer der nächsten Aktionsschwerpunkte der Arche sein, weil nach staatlicher Planung für die dortige 2. Stadterweiterung große Teile der barocken Altstadt dem Erdboden gleich gemacht werden sollen. Potsdam ist auch Ausflugsziel für die West-Berliner; Spree, Havel und Teltowkanal erreichen, von DDR-Chemie und -Agrarindustrie verschmutzt, West-Berlin, werden hier weiter vedreckt und fließen wieder in die DDR.

Daß Umwelt keine Grenzen kennt, war ein Leitmotiv des Berliner Umwelttages. Auf einer der Schautafeln zum Thema Luftverschmutzung in Berlin waren zum Beispiel mangels vorliegender offizieller Ost-Berliner Smogdaten die Meßwerte der West-Berliner Smogmeßstellen angegeben, deren Gültigkeit für die „Hauptstadt“ niemand bestreitet. Gerne hätten die Besucher des Umwelttages mit der West-Berliner Umweltsenatorin Schreyer über dieses und andere Themen geredet; die Senatorin weilte jedoch bei ihrem eigenen Umwelttag ein paar Straßen weiter in West-Berlin. Immerhin waren eine Handvoll Abgeordnete der Alternativen Liste aus West-Berlin vertreten. Auch einige der Vorträge in den Arbeitsgruppen, zum Beispiel der über die Auswirkungen des Ozonlochs auf das Klima und die Temperatur, wurden von Referenten aus West-Berlin gehalten. Diese Kooperation zwischen Umweltschützern in Ost und West soll auf offizieller und auf Betroffenenebene weiter fortgesetzt werden.

Die Hauptforderungen des Umwelttages beziehen sich zu großen Teilen auf grenzübergreifende Probleme. So wurde eine gemeinsame Smogverordnung für den ganzen Berliner Himmel gefordert, außerdem solle der Müllimport aus der Bundesrepublik und Berlin-West in die DDR, mit dem sich der Westen billig ent-sorgt, eingestellt werden. Geplant wurde gemeinsam mit den anwesenden ALern, daß man sich für das kommende Jahr um eine weitere Verbesserung der Kooperation zwischen Ost und West bemühen und „gemeinsame“ Berliner Umwelttage planen will, die sich stärker aufeinander beziehen und bei denen sich die Ost- und die West-Berliner nach Möglichkeit gegenseitig besuchen - wenn die DDR -Behörden sich nicht querlegen.

Am vergangenen Wochenende zeigten sie sich wenig hilfreich: Zu den von den Arche-Leuten gewünschten Diskussionen mit staatlichen Vertretern kam es lediglich am Rande einer Exkursion in das Treptower Brachlandgebiet „Brake“, einem Landschaftsschutzgebiet, das nur durch Bürgerproteste und -eingaben vor der „Umwidmung“ zur Müllkippe gerettet worden war: „Eines der wenigen positiven Beispiele, wo sich die staatliche Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR für den Erhalt der Natur eingesetzt hat“, wie ein Arche-Sprecher hoffnungsvoll betonte.

Einstweilen herrscht von staatlicher Seite der Arche gegenüber hauptsächlich Mißtrauen. Bei einer Fahrradexkursion zur neuen Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche folgte ein Trupp Stasi den Umweltschützern und fotografierte sie. Und einen Tag vor dem Umwelttag hatten die DDR-Behörden den Wasserexperten der Arche, Reinhard Klaus, der seit langem einen Ausreiseantrag gestellt hatte, binnen Stunden aus der Republik geworfen.

taz

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