: Glasnost beim Futtern
■ Im „Gläsernen Restaurant“ werden Kirchentagsbesucher ökologisch verköstigt / Viel Gesundes, wenig Abfall
„Manna, Manna!“ - das mag dieser Tage so mancher gestreßte Kirchentagsbesucher ausrufen nach einer ermüdenden Wanderung durch die Hallen des Messegeländes. Wer nun eine Oase inmitten der Menschenwüste sucht, der begebe sich zur Halle 6. Dort nämlich, ganz hinten in der Ecke, lockt das „Gläserne Restaurant“ mit gemütlicher Biertischatmosphäre und gesundem Labsal für den leeren Magen. Bereits beim letzten Kirchentag mit viel Begeisterung aufgenommen, bietet das Projekt auch in diesem Jahr wieder chemiearme Vollwertkost für (relativ) wenig Geld. Initiator Jobst Kraus von der Evangelischen Akademie Bad Boll (Baden Württemberg) plädiert für „mehr Transparenz“. So können die Vorübergehenden dann auch den weißbeschürzten Köchinnen und Köchen durch große Glasscheiben in die Töpfe schauen. Wem sich allerdings beim Gedanken an Körner und Rohkost der Magen umdreht, der muß nicht zwangsläufig gleich ein hoffnungsloser Fall sein. Beim Eröffnungsessen für geladene Gäste jedenfalls sah man (fast) allseits zufriedene Gesichter. Vom Nebentisch waren gar die Worte zu hören, daß man im „Gläsernen Restaurant“ zur Vollwertkost bekehrt werde, und zwar nicht unbedingt aus Überzeugung, sondern weil es schmeckt.
Nichtsdestoweniger gehört für die Organisatoren ein gerüttelt Maß an Überzeugung und Idealismus dazu. Nicht nur die Gesundheit ihrer Gäste liegt ihnen am Herzen. Vielmehr steckt hinter der Grundidee des Restaurants eine ökologische Weltanschauung. Angefangen bei der Welternährungssituation, über die Energieverschwendung in herkömmlichen Großküchen bis hin zur Belastung der Umwelt durch Schadstoffe und Abfälle erhält der Gast Einblicke in eine andere Art der Bewirtschaftung. Das heißt im Klartext: Durch fleischarme Kost beispielsweise will man die riesigen Futtermittelimporte bremsen, um den Ländern der „Dritten Welt“ nicht noch mehr an Grund und Boden zu entziehen. Man müsse, so Kraus, bereits beim Einkauf darauf achten, allzu weitgereiste Güter großteils auszuklammern: Statt Blutorangen aus Südafrika gibt es dann eben Karotten aus deutschen Landen - frisch auf den Tisch. Ferner rät der Projektleiter den Verantwortlichen von Großkantinen, auf Gas umzustellen und energiesparende Küchengerätschaften anzuschaffen. „Und Rohkost“, fügt Kraus hinzu, „verbraucht generell wenig Energie“. Was, zu guter Letzt, die Abfallentsorgung angeht, ist Recycling angesagt. Nicht der Preis soll ausschlaggebend sein, sondern die allgemeine Verträglichkeit der Koch- und Eßkultur für Mensch und Natur. Die neue Form des Wirtschaftens hilft zum einen den hiesigen, vom „Aussterben“ bedrohten Kleinbauern und gebietet zum anderen dem allgemein üblichen Raubbau an den Lebensgrundlagen Einhalt. Überdies liegt Vollwertkost ganz im Trend des neuen Körperbewußtseins - als leichte, gutverdauliche Alternative zu Currywurst und Pommes.
Heidi Wentsch
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