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„Defizite im Bereich der Demokratisierung“

Bei seinem „Informationsbesuch“ in Nicaragua sprach Entwicklungshilfeminister Warnke mit Staatschef Ortega und der Opposition Wiederaufnahme der Wirtschaftshilfe bleibt verknüpft mit Wohlverhalten Managuas im Rahmen des zentralamerikanischen Friedensplanes  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

„Defizite im Bereich der Demokratisierung“, aber gleichzeitig eine „vorher nicht erkennbare Bereitschaft der Regierung“, mit der Opposition über deren Kritikpunkte zu diskutieren, konstatierte Jürgen Warnke am Ende eines 34stündigen „Informationsbesuches“ in Managua. Warnke, wieder einmal Minister für Zusammenarbeit, hatte von seinem Vorgänger Hans Klein eine Einladung nach Nicaragua geerbt. Eigentlich wollte er hier ausschließlich die rechte Opposition und Empfänger von Geldern der Konrad-Adenauer -Stiftung besuchen. Schließlich fand er zwischen den Terminen mit Kardinal Obando, dem Unternehmerverband COSEP, dem Kampfblatt 'La Prensa‘, dem neuen Oppositionsbündnis UNO und der antisandinistischen Menschenrechtskommission doch auch Zeit für Gespräche mit seinem Gastgeber und Amtskollegen Henry Ruiz, mit Vizepräsident Sergio Ramirez und Staatschef Daniel Ortega. Bei diesen Gesprächen knüpfte er die Wiederaufnahme der 1982 eingefrorenen Wirtschaftshilfe entsprechend der Bonner Linie an das Wohlverhalten Nicaraguas im Rahmen des zentralamerikanischen Friedensplanes.

„Das wichtigste ist, daß er uns zuhört und zumindest versucht, unsere Probleme zu verstehen“, meinte der Präsidentensprecher Manuel Espinoza, während Warnke schon seit mehr als zwei Stunden mit Daniel Ortega und einigen Kabinettsmitgliedern zusammensaß. Ein Stück scheinen sie sich tatsächlich näher gekommen zu sein. Warnke, der mit dem Vorsatz gekommen war, sich von den Sandinisten nicht beeindrucken zu lassen, verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner mit Gesten, die beinahe als herzlich bezeichnet werden können. Die Wirtschaftshilfe wird zwar vorerst nicht aufgetaut, aber die Aufstockung der Soforthilfe für die Hurrikanschäden von sechs auf zehn Millionen Mark kann als Anfang einer Klimaverbesserung gesehen werden. Der Wirbelsturm „Joan“ hatte im Oktober 1988 Sachschäden in der Höhe von rund 1,6 Milliarden Mark hinterlassen.

Kein Unionspolitiker reist nach Nicaragua ohne Liste von Häftlingen, die er auf freiem Fuß zu sehen wünscht. Auch Herr Warnke hatte von Helmut Kohl eine solche mitbekommen, mußte aber feststellen, daß viele der „politischen Gefangenen“ schon längst frei waren. Daniel Ortega, der als Repräsentant eines armen Landes an Einmischungen der Industrienationen gewöhnt ist, versprach dem Gast, daß die Regierung mit allen Parteien, die sich an den Wahlen vom 25. Februar 1990 beteiligen wollen, nochmals über mögliche Modifikationen des Wahl- und des Mediengesetzes diskutieren will. Beide Gesetze wurden erst im vergangenen April in der Nationalversammlung reformiert. Das minderheitenfreundliche Wahlgesetz wird es nach der Einschätzung von Oppositionellen den Sandinisten schwer machen, ihre Mehrheit im Parlament zu halten.

Die Reformen sind genauso Teil des zentralamerikanischen Friedensplanes Esquipulas II wie die Freilassung der ehemaligen Nationalgardisten im vergangenen März, ebenso wie die Demobilisierung der Contra. Der Bundesregierung scheint vor allem die Demokratie Nicaraguas Sorgen zu bereiten, während bei den anderen Ländern der Region - in Übereinstimmung mit Oscar Arias - „solche Bedenken nicht bestehen“. El Salvadors neuen Präsidenten Cristiani müsse man schon deswegen unterstützen, damit er sich gegen die radikalen Kräfte durchsetzen könne. Ortega mußte sich rügen lassen, weil die salvadorianische Guerilla ihre Aktivitäten in den letzten Monaten verstärkt hat, wobei Warnke unterstellte, daß die FMLN ihre Waffen von den Sandinisten beziehe. Nicaragua ist erst dann wieder würdig, Wirtschaftshilfe zu empfangen, wenn alle Punkte des Planes erfüllt sind, de facto also frühestens im Februar nächsten Jahres - vorausgesetzt, Bonn ist der Meinung, daß die Wahlen auch wirklich sauber genug waren.

Auf Anregung der Opposition wird sich die Bundesrepublik an den Aufwendungen für den Wahlprozeß mit Sachspenden beteiligen. Im Gespräch waren fälschungssichere Wahlzettel, Offsetmaschinen für Vierfarbendruck und anderes Material. Auch Kardinal Obando y Bravo ging nicht leer aus: Er bekam Nahrungsmittelhilfe im Wert von 1,6 Millionen Mark für die Erzdiözese Managua zugesagt.

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