: Swinging Metropolis
■ 31. Swinging Propaganda
Diese Abteilung gilt drei Klangkörpern der dreißiger/vierziger Jahre, denen gemein ist, daß es sich dabei um ausschließliche Studioformationen handelt.
Zusammen mit dem ElektrolaAufnahmeleiter Leopold von Schenkendorf heckt der Gitarrist HaroldM. Kirchstein Die Goldene Sieben aus. Es ist Oktober 1934, und die sieben sind von Anbeginn acht. Der Swingfreund kennt die Solisten; wer nicht so firm ist, aber dem Sendebereich des Norddeutschen Rundfunks entstammt, dem klingt vielleicht noch - wenigstens von der Ansage her - Franz Thon und Das Orchester ohne Namen im Ohr; bei der Goldenen Sieben zeichnet der junge Herr für den guten Klarinettenton verantwortlich.
Die magische Zahl stimmt also nie; oft wird die Band verstärkt auf bis zu fünfzehn Mann. Was dann so auf den Plattenetiketten zu lesen ist, machts dem Sammler nicht leichter. Im geheimnisvollsten Falle heißt es „Jazzband mit Gesang“. Die Band klingt einerseits tanzmusikalisch gefällig, doch jumpen andererseits auch Soli aus dem Volksempfänger, die jazzige Potenz verraten. Einzelne Mitglieder begleiten bisweilen Hockerhüpfer Peter Igelhoff, den witzigen Pianisten mit hektischem ScatGesang, Fats Waller als Vorbild. Wer die Sieben-bis-Fünfzehn allerdings beschauen will, muß sich ins Kino bemühen: In Allotria (1936) spielen sie den Song „Blindekuh“ - mit verbundenen Augen. Offenen Blicks begleiten sie Hilde Seipp in Heimweh (1937).
Später, zur Big Band aufgebretzelt, nennt man sie Die Goldene Sieben und ihr Orchester; Titel wie „Crazy Jacob“ oder der „St.Louis Blues“ festigen das HotImage. Hinzugestoßen ist Willy Berking, der Posaunist, den spätere Generationen als musikalischen Quizbegleiter Hans Joachim Kulenkampffs registrieren werden. 1939, mit Kriegsbeginn, schweigt das Ensemble.
Dennoch gehts weiter, wie bislang immer alles weiterging, auch wenn sich die Vorzeichen ändern. Fast alle Mitglieder der Goldenen Sieben treffen sich 1942 im Delphi-Palast zu ersten Proben fürs Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester (DTU). Bereits im Auftrag des PropagandaMinisteriums spielt es für ins Ausland gerichtete Rundfunksendungen. 1943 „ausgelagert“, wird in Prag weiterproduziert, wo mit Magnetophontechnik die ersten Stereoversuche starten. Eine Charakterisierung von HorstH.Lange:
„Das Personal umfaßte die Elite deutscher Tanzmusik -Solisten, die später nach und nach teilweise durch erstklassige Belgier und Holländer (1942/43) ersetzt wurden. Geld spielte keine Rolle, man konnte experimentieren, soviel man wollte. So wurde einmal mit Rhythmsection gespielt, einmal ohne; einmal mit Streichern, einmal ohne; man spielte heiß und auch 'halbsymphonisch‘. Simple Tagesschlager wurden zu monströsen Arrangements aufgebauscht. Einmal wirkte das Orchester langweilig und einmal interessant. Aber immer wieder kamen der Swing und die amerikanischen Vorbilder zum Vorschein. Zu jener Zeit war das Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester ein deutsches Gegenstück zu Glenn Miller, wenn man einen Vergleich ziehen will. Es hatte seine Höhepunkte in den Jahren von 1941 bis 1943, als zahlreiche beste europäische Swingmusiker in ihm mitwirkten, die ihm ihren Stempel aufdrückten.“
„Supergroup“ nennt mans im Rock, der Jazzer spricht von „Allstar Band“: Dergleichen tritt als bizarres Nonplusultra 1941 parallel auf den NaziPlan. Charlie And His Orchestra heißt die Formation, und viele von Goldener Sieben bzw. DTU mischen mit. Lutz Templin zum Beispiel, nunmehr Leader vons Ganze. Tatsächlich kam Besseres vorher nie zu Gehör, musikalischerseits. Was Charlie Schwedler jedoch an - englischsprachigen - Texten von sich gibt, bewegt sich schlicht zwischen kindisch (der Feind mag gekichert haben) & übel (wurd sicher manchem auch). Die Platten werden ausschließlich von deutschen Propagandasendern gespielt, teilweise auch hinter der Front abgeworfen. Zu hören ist perfekt intonierter Hohngesang auf Churchill, Stalin, Roosevelt; zum berühmten Cole-Porter -Stück heißt es: „You're The Tops, You're The German Flyer / You're The Tops, You're Machine Gun Fire / You're A U-Boat Chap With A Lot Of Pep / You're Grand, You're A German Blitz, The Paris Ritz.“
Nun haben Vera Lynn (GB) oder Bing Crosby (USA) auch ihre verharmlosend-motivierenden „Flag Wave Songs“ drauf, aber antisemitische Heiterkeit zu flotten Weisen (wie ein- oder zweimal praktiziert), das bleibt deutsches Privileg. Umgetextet werden etwa „You Driving Me Crazy“, „Stormy Weather“ oder „It's A Long Way To Tipperary“. Zum Nummer -Eins-Hit der BBC, „Siegfried Line“, gibts gar eine ergänzend deutschsprachige Fassung. (Trotz fehlender Angaben auf dem Etikett ordnet sie der Fachmann, aufgrund der Matrizennummer, eindeutig Lutz Templins PropagandaOrchester zu.) Und das funktioniert so:
Nach Absingen des Originaltextes „We Gonna Hang On The Washing On The Siegfried Line“ ist ein Fliegerangriff zu hören. Zur beliebt jammrigen gestopften Trompete rufen ängstliche Stimmen: „Stukas! Stukas!“ Ein deutscher Marsch klingt an, naßforsch wird das Anfangsthema aufgenomnmen und eingelandsert: „Ja, mein Junge, das hast du dir gar zu leicht gedacht / mit dem großen Wäschetag am deutschen Reich. / Hast du dir auch deine Hosen richtig vollgemacht, / brauchst du gar nicht traurig sein. / Bald seifen wir dich richtig ein, / von oben und von unten her. / Wenn der deutsche Waschtag wird gewesen sein, / hängt da oben keine Wäsche mehr.“
Wie stehen die beteiligten Musiker zu solch herrlicher Poeterei? Da gibts Aussagen & Erläuterndes zum Unmfeld nebst einem Schallplattentip, jedoch nicht mehr hier & heut. Die Woche bis zur Fortsetzung zu überbrücken, sollte der Neugierige keinesfalls verabsäumen, übermorgen, am Mittwoch um 23.10 Uhr sein Fernsehgerät in Gang zu setzen. Das dritte Programm wirds ihm lohnen mit einer einstündigen Sendung über Charlie And His Orchestra!
Norbert Tefelski
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