Tourismus-betr.: "Welche Freiheit", taz vom 3.6.89

Betr: „Welche Freiheit“,

taz vom 3.6.89

(...)Mein inneres Unwohlsein wächst, je weiter ich in dem fast zweiseitigen Artikel voranschreite, bis ich auf die Stellen stoße, die die fatale Haltung der Autorin deutlich machen. Es geht um Freizügigkeiten europäischer Touristinnen in der Türkei und deren Folgen: “... unser Sonnenbaden ist für sie schon fast Prostitution“. Mit solchen Statements versucht sie in einem fort, chauvinistische Geisteshaltung zu erklären und zu rechtfertigen.

So etwas in ihrer Zeitung wundert mich vor allem zu einem Zeitpunkt, an dem alle Welt nach Gerechtigkeit für die beiden Berlinerinnen schreit und sogar der „Stern“ einen brisanten, fast bekennerhaften Artikel einer Journalistin bringt, dessen Radikalität überzeugt.

Frau Heimbach dagegen beschwert sich. Weil “... nur eine von zehn Zeitungen zur Vergewaltigung einer Touristin beiläufig erwähnte, daß diese sich zum Sonnenbaden in einem entlegenen Waldstück entschlossen hatte“.

Auch Ingrid Kolb, Autorin des Beitrags „Wenn Frauen sich wehren“ im letzten Stern, erwähnt die Presse, sie sieht jedoch, daß in den Berichten viel von der „anderen“ Kultur die Rede ist, und von der der „islamischen Männergesellschaft“. Meist verbunden sei das „mit einem scharfen Tadel für die beiden Frauen, die es gewagt haben, sich ohne männlichen Schutz auf Reisen zu begeben, und die Plätze ihres Verweilens selbst zu bestimmen“.

An diesem Punkt stellt sich natürlich die Frage, wo Provokation eigentlich anfängt: M. und U. Loh waren zum Beispiel nicht einmal unbekleidet und trotzdem hat es sie erwischt. Wie weit also muß eine Frau sich anpassen, um sicher zu sein? Frau Heimbach hat sich angepaßt, wird von türkischen Männern respektiert, den Rat: “... wenn wir auf einer Türkeireise auch ein Stück von unserer Kultur den Türken zeigen wollen, dann sollten wir ihnen doch sicherlich nicht beibringen (!), daß unsere Freiheit, die Freiheit der Frau, in erster Linie die sexuelle Freiheit ist“.

(...)Die ständige, subtile Angst dieser Frauen hat umsomehr Grund und Logik, wenn eine Frau stets die brave Seite zeigt und daher immer in der Gefahr lebt, daß ihre „hurige“ Seite auf ihr Recht auf Anerkennung pocht, und sich aus Versehen mal verrät. Welches Verhalten Frau Heimbach für sich für angemessen hält, ist ihr Bier. Sie sollte aber bitte aufhören, diese Selbstbeschränkungen nun auch von allen anderen zu verlangen. Ihre Frage, ob mit Freiheit denn die sexuelle gemeint sein muß, kann ich nur mit „Ja!“ beantworten, denn der Geschlechterkampf beruht nun mal auf unterschiedlichem Sexus und wird bei einer selbstbewußten, nicht verheimlichten und als „Zugeständnis“ (und somit als Schwäche) versteckten Sexualität einfach seiner Grundlage beraubt.

Ingrid Kolb vom 'Stern‘ hat begriffen, daß es nicht um legitime Unterschiede verschiedener Kulturbereiche geht: „... sollte ich jemals in die Lage kommen, in der sich Ute und Melanie Loh befanden, dann wünsche ich mir, daß ich einen großen Stein zu fassen kriege, und daß es mir gelingt, ihn zu benutzen“.

Achim Keiper, Berlin

Marfa Heimbach meint, deutsche Touristinnen sollten in der Türkei nicht gerade „sexuelle Freiheit“ als Bestandteil unserer Kultur zeigen. Ist „sexuelle Freiheit“ verwerflich oder Frau Heimbach verklemmt? Wenn wir uns in Deutschland weitgehend an- und ausziehen, was wir wollen, muß es nicht verkehrt sein, wenn das anderswo auch so ist. Diese kleine Freheit ist in langen Kämpfen gegen Prüde, Verklemmte und Fromme erstritten worden. Was türkischen Frauen mit Recht ihr Kopftuch ist, kann anderen mit gleichem Recht ihre Nacktheit sein. Mulitkulturelle Gesellschaft, das bedeutet offene Kritik am Unfug in der eigenen, aber auch in anderen Kulturen. Unserer heiligen Kuh Auto entspricht anderswo die überflüssige und menschenfeindliche Religion des Islam. Wer will, sollte bei großer Hitze die Hüllen fallen lassen oder ein Kopftuch tragen, je nach Geschmack.

Übrigens ist es falsch, nach dem Koran die Frau als höchstes Gut darzustellen. An anderer Stelle heißt es dort, ein Mann soll eine ungehorsame Frau schlagen. Wer emanzipierte Frauen will, muß Islam, Christentum und viele andere Religionen abschaffen. Nicht die sexuell offenen Frauen, sondern die chauvinistischen islamischen Machos sind eine kulturelle und menschliche Schande.

Hartmut Wagner, Schwerte

Zynisch - dieser Bericht über türkische Männer und mitteleuropäische Touristinnen - besonders nach den Erlebnissen von Ute und Melanie Loh! Ketzerisch frage ich, wieso wir von unserer Kultur eigentlich beibringen sollen, daß die Freiheit der Frauen in erster Linie die sexuelle Freiheit ist? Hat Marfa nie in Deutschland unter dem Wohlanständigkeitsterror sogenannter rechtschaffener Leute gelitten? In diesem unseren Lande sind die Wertvorstellungen auch erst seit kurzem frauenfreundlicher! Frauen haben das Recht, sich von einem charmanten Typen verführen zu lassen, genau wie sie das Recht haben, Nein zu sagen! Die Übeltäter sind nicht die Touristinnen, sondern die scheinheiligen Kerle und ihre genauso scheinheilige Verwandtschaft. Den Touristinnen läßt sich höchstens Naivität vorwerfen - in islamischer oder katholischer Umgebung sollte frau die Spielregeln kennen - ob sie sich daran hält, ist ihre Sache.

Eva, Reinbek

(...)Das Grundproblem ist - von Marfa Heimbach nicht aufgezeigt -, daß das Bild türkischer Männer über mitteleuropäische Frauen sich nicht nur in der negativen Bewertung vom Selbstbild der Frauen unterscheidet, sondern daß auch Elemente wegfallen - besonders emotionale -, die im Selbstbild vorhanden sind, und andere hinzukommen, die im Selbstbild wiederum nicht vorkommen. So wird die Touristin im Spaghetti-T-Shirt von türkischen Männern als Sexobjekt gesehen, obwohl sie es nicht ist. Die züchtig bekleidete, zurückhaltende Touristin wird in erster Linie, was Marfa Heimbach völlig unterschlägt, als zickig, frigide und/oder lesbisch diskriminiert und als deformiertes Sexobjekt wahrgenommen, nicht aber als respektable Frau. Sie ist also eine Ausnahme des bestehenden Bildes, nicht aber Repräsentantin eines positiven neuen Frauenbildes dem sie im übrigen auch nicht entsprechen würde.

Bestenfalls wird die sich so benehmende Touristin als kumpelhaftes Neutrum behandelt, wie Marfa Heimbach in der Beschreibung des Gesprächs mit ihren türkischen Kollegen veranschaulicht. Es ist ein Trugschluß, wenn sie meint, hier wie eine türkische Frau mit allen damit verbundenen Implikationen, die sie im übrigen ja tatsächlich wieder nicht ist, gesehen und geachtet zu werden. Das beschriebene Gespräch hätte in Anwesenheit türkischer Frauen überhaupt nicht stattgefunden, daß sie als kumpelhaftes Neutrum, nicht als die Frau, die sie ist, wahrgenommen wird, zeigt sich auch darin, daß von Seiten der türkischen Männer selbstverständlich vorausgesetzt wird, sie teile das negative Urteil über die besprochenen Touristinnen.

Es ist falsch, wenn Marfa Heimbach annimt, daß Interesse und Offenheit, die die Touristin eventuell für die Türkei hat, auch von Seiten der türkischen Männer für die Kultur der Touristin da sind oder leicht hergestellt werden können. Noch weniger können Touristinnen das Bild türkischer Männer über mitteleuropäische Frauen, das sowieso nicht dem Selbstbild entspricht, in ein paar Urlaubswochen ändern, wo schon Jahrzehnte des Zusammenlebens von mitteleuropäischen Frauen und türkischen Arbeitsmigranten z.B. in der BRD nicht ausgereicht haben, um dieses Bild aufzubrechen. Die sicherlich dafür vorhandenen Gründe sind in diesem Zusammenhang irrelevant.

Also, auf Touristinnen, in die türkische Kultur, aber bitte Abschied vom Traum der Völkerverständigung aus und in beide Richtungen!

Birgit Langenkamp Christine Lehr, Hambur