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Wenig Licht und viel Schatten

Arantxa Sanchez gewinnt mit 7:6, 3:6, 7:5 das Finale der French Open gegen Steffi Graf  ■  Aus Paris Matti Lieske

Als Steffi Graf und Arantxa Sanchez zum Endspiel der French Open auf den Centre Court von Roland Garros kamen, waren sich alle einig: das eigentliche Finale hatte schon zwei Tage vorher stattgefunden. Da waren im Match zwischen der 19jährigen Steffi Graf und der 15jährigen Monica Seles die Filzbälle nur so übers Netz gezischt, nach drei Sätzen schließlich hatte die ältere der beiden die Oberhand behalten, nicht zuletzt, weil Seles nach einem langen Ballwechsel beim Stande von 4:4 im dritten Satz kräftemäßig zusammenbrach.

Nach dieser mitreißenden Partie war Steffi Grafs Turniersieg beschlossene Sache. Zwar hatte die 17jährige Finalgegnerin in den letzten Turnieren gute Resultate erzielt und auch hier in Paris souverän sämtliche Hürden gemeistert, doch wie sollte eine reine Grundlinienspielerin, die zudem längst nicht über solch harte Schläge wie Monica Seles verfügt, der Weltranglistenersten mit ihrer furchteinflößenden Vorhand schon ernsthaft gefährlich werden können? Die kleine Spanierin versetzte jedoch alle Zweifler und Defätisten schnell in helles Erstaunen. Behend wie ein Kobold fegte sie über das Feld, erwischte jeden Ball und brachte phänomenale Schläge zustande. Graf dagegen, das war sofort zu sehen, hatte nicht ihren besten Tag, obwohl doch extra zu diesem Match ihr virusbefallener Vater vom Krankenbett auferstanden war. Je öfter die Vorhand seiner Tochter im Aus, die Rückhand im Netz landete, desto bleicher wurde Vater Graf auf der Tribüne, und nachdem Sanchez mit 8:6 den Tie-Break gewonnen hatte, war sein Auftritt in Paris bereits beendet. Peter Graf verschwand und ward nicht mehr gesehen. Dabei lief es im zweiten Satz deutlich besser für die Frau aus Brühl. Zwar leistete sie sich nach wie vor viele Fehler, noch mehr aber beging Arantxa Sanchez, die völlig ihre Linie verlor, überhastet ans Netz ging, unselige Stopps spielte und den Satz mit 3:6 verlor.

Im dritten Durchgang nahm die Grafsche Misere dann endgültig ihren Lauf. Während Sanchez nach zwei Stunden und zwanzig Minuten plötzlich wieder so frisch, munter und gutgelaunt über den Platz wuselte, als sei das Match gerade fünf Minuten alt, wechselten bei Graf wenig Licht mit sehr viel Schatten. Gleich zu Beginn verlor sie ihren Aufschlag, Sanchez gewann den ihren anschließend in grandioser Manier und bestimmte jetzt eindeutig das Spiel. Sie ging hohe Risiken ein, übte massiven Druck aus und punktete in spektakulärer Art und Weise. Die Grand-Slam Gewinnerin des Vorjahres reagierte nur noch und wartete auf Fehler ihrer Gegnerin. „Das war nicht ich, die da auf dem Platz stand“, bemerkte sie später, „ich konnte einfach keinen Druck machen wie sonst“.

3:1 lag Sanchez in Führung, als es plötzlich auch mit ihrer Frische vorbei war. Bruder Emilio, der unbeweglich wie eine Marmorstatue auf der Spielertribüne saß, versteinerte noch ein wenig mehr. Graf glich aus zum 3:3, mit einem Doppelfehler gab Sanchez dann ihren Aufschlag ab, und ein verschlagener, kinderleichter Volley brachte sogar das 5:3 für die Deutsche: die endgültige Entscheidung in diesem Finale von Paris, wie alle dachten. Weit gefehlt. Ein noch kinderleichterer, von Steffi Graf verschlagener Volley läutete die Sensation ein. Nach diesem deutlichen Zeichen hochgradiger Unkonzentration erwachte die Spanierin schlagartig aus ihrer Lethargie und pirschte sich auf 5:5 heran. Steffi Graf war plötzlich so verunsichert wie Ivan Lendl gegen Michael Chang und ähnelte mehr einer Schlafwandlerin als einer Titelanwärterin. Ohne nennenswerte Gegenwehr ging Sanchez 6:5 in Führung, und ihre Kontrahentin verschwand umgehend im Kabinengang. Das Rätselraten, ob sie wohl zurückkehren würde, dauerte 97 Sekunden. „Wegen meiner Periode“ sei sie rausgegangen, verriet sie hinterher; außerdem hatte sie Wadenkrämpfe gehabt und sich überhaupt schlecht gefühlt. Wenig später, nach genau 2 Stunden und 57 Minuten Matchdauer, hatte Arantxa Sanchez ihren ersten Matchball zum Erfolg im „Turnier meines Lebens“. Und als ihr der sogleich den Triumph brachte, da lachte zum erstenmal auch Bruder Emilio.

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