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UNIVERSITÄT: Dorothee Mussgnug "Die vertriebenen Heidelberger Dozenten"

Nachdem die Nazis 1933 den Kanzler stellten, organisierten sie sehr schnell die ganze Gesellschaft nach ihren Vorstellungen um. Ein zentrales Instrument war das „Gestz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Hier wurden Formulierungen gefunden, die dann wieder beim Radikalenerlass der SPD Pate standen: Beamten „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ drohte die Entlassung. Vor allem aber war „nicht-arischen“ Beamten sofort zu kündigen. Die Folgen für die Heidelberger Universität hat Dorothee Mussgnug zusammengestellt. Sie ist den Lebensgeschichten der von den Nazis vertriebenen Dozenten nachgegangen und hat ein verlässliches Nachschlagewerk vorgelegt. Es ist keine Darstellung geworden, eher eine Sammlung von Listen. Darum nicht weniger eindrücklich. Man nehme nur die wenigen Sätze zu Leonardo Olschki (1885-1961), einen der besten Kenner der Wissenschaftsgeschichte der Renaissance. Der in Verona geborene Olschki war deutscher Staatsbürger geworden und hatte seit 1924 eine Professur. Im Dezember 1933 wurde er in den Ruhestand befohlen. Olschki befand sich gerade in Italien. Er blieb dort. Fünf Jahre darauf ereilten ihn die italienischen Rassegesetze. Er durfte keine Vorlesungen mehr halten. Olschki emigrierte in die USA. Er arbeitete ohne Gehalt an der Harvard University, seine Frau verdiente das Geld in einer Leder-, dann in einer Konservenfabrik. Seit 1944 hatte er eine knapp bezahlte Stelle am Department for Oriental Languages in Berkeley. Einen amerikanischen Paß erhielt er erst im Mai 1945. „Als in der Folge der McCarthy -Säuberungen von allen Fakultätsmitgliedern ein Loyalitätseid verlangt wurde, weigerte sich Olschki im Juli 1950 zusammen mit einigen Kollegen, darunter Kantorowicz, den Eid abzulegen. 'The oath is inadequate... pernicious... harmful to the prestige of my profession.“ Er wurde zum dritten Mal aus einem Universitätsdienst entlassen. 1952 erklärte der Kalifornische Oberste Gerichtshof den Eid für Verfassungswidrig. Olschki wurde wieder eingestellt...“

Dorothee Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, Carl Winter UNiversitätsverlag, 300 Seiten, 24 DM

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