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Täglich bis zu 350 Milliarden Dollar hin und her

■ Devise der Devisenhändler: Billig kaufen und teuer verkaufen / Psychologie ist gefragt / Arbeitslosenstatistik wichtig für den Trend / Bei Fehleinschätzung ist der Händler ein sehr einsamer Mann / Handel rund um die Uhr / „Hauptsache, der Dollar bewegt sich“ / Entscheidungen in Sekundenschnelle

Frankfurt (dpa) - Die Atmosphäre im Raum ist nervös und angespannt. Ständiges hektisches Stimmengewirr mischt sich mit unablässigem Telefonklingeln. Ein Dutzend Devisenhändler mit konzentrierten Gesichtern sitzen in der Citibank in Frankfurt vor den Computer-Bildschirmen und starren auf ständig wechselnde Zahlenkolonnen. Dann tippen sie auf ihrer Tastatur ein paar Buchstaben und Zahlen ein oder greifen zum Telefon. Eindringlich reden sie auf den Partner am anderen Ende der Leitung ein.

So bewegen die korrekt gekleideten Herren in Sekunden mehr Geld als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben besitzen werden. Bei den Devisengeschäften der Banken werden täglich weltweit bis zu 350 Milliarden Dollar hin- und hergeschoben. Das sind nach derzeitigem Kurs knapp 700 Milliarden Mark, fast zehnmal soviel wie der größte deutsche Konzern, die Daimler-Benz AG, pro Jahr umsetzt.

Dabei verlagert sich der rund um die Uhr laufende Devisenhandel wegen der Zeitzonen von Tokio über Europa nach New York. Allein in Frankfurt, neben New York, London und Tokio wichtigster Finanzplatz der Welt, liegen die Umsätze täglich bei 40 Milliarden Dollar. Ganz stark konzentriert sich der Devisenhandel auf den Dollar und die beiden anderen wichtigen Leitwährungen D-Mark und Yen.

Über die Konten der Institute wird ein Großteil der Milliarden im sogenannten Interbanken-Handel verbucht. Ihr Einfluß auf den Dollarkurs ist enorm. Sie kaufen und verkaufen auf eigene Rechnung und für ihre Kunden. So bestimmen sie das Devisenangebot und die -nachfrage und damit die Wechselkurse. Zu ihren Großkunden gehören neben Unternehmen und Investoren auch die Notenbanken. Diese versuchen häufig mit Hilfe gezielter Eingriffe, mittels An oder Verkäufen von Währungen das jeweilige Kursniveau im Alleingang oder in „konzertierten“, verabredeten Aktionen zu beeinflussen.

„Der Dollar ist eine Ware, und wir handeln mit ihr, um zu verdienen“, sagt Rainer Streb, ehemaliger Devisenhändler der Citibank AG in Frankfurt. „Hauptsache, er bewegt sich.“ Das ist alles, was Devisenhändler vom Dollarkurs erwarten. Ihnen ist grundsätzlich egal, ob der Kurs steigt oder fällt, ob er über oder unter zwei Mark liegt. Seit zwei Wochen macht das Auf und Ab der US-Währung wieder Schlagzeilen. Denn am 22. Mai war er erstmals seit knapp zweieinhalb Jahren wieder über die Zwei-Mark-Grenze gestiegen.

Bei jedem Handel hängt der Erfolg am Preisunterschied von Einkauf und Verkauf. Daher ist das oberste Geschäftsgebot auch für einen Devisenhändler einfach: „Den Dollar oder eine andere Währung billig kaufen und teuer verkaufen“, erklärt Streb. Zwei Kurse muß jeder Marktteilnehmer nennen, einen, zu dem er kaufen, und einen zu dem er verkaufen will. Diesen Vorgang nennt der Fachmann „einen Kurs stellen“. Diese Marge zwischen An- und Verkaufskurs versucht der Händler auszunutzen. Er hofft, gekaufte Dollar zu einem höheren Kurs wieder loszuschlagen oder durch frühzeitigen Verkauf bei sinkenden Kursen einem anderen Händler die Verluste aufzudrücken. Entwickeln sich die Kurse aber nicht wie erwartet, dann können Verluste ins Haus stehen. „Kostet die Fehleinschätzung die Bank viel Geld, ist der Händler ein sehr einsamer Mann“, betont Streb.

Elektronik für weltweite Transparenz

Jedes Bankhaus hat einen Chefdevisenhändler, der die tägliche Strategie vorgibt. Innerhalb eines bestimmten Rahmens entscheidet der Mann am Schirm oder am Telefon eigenverantwortlich. Die Händler verbindet weltweit moderne Kommunikationselektronik miteinander. Diese Systeme stammen von der US-Firma Telerate oder von der britischen Agentur 'Reuters‘. Weltweite Transparenz herrscht somit unter allen angeschlossenen Banken. Sie erhalten über die Computerschirme in Sekundenschnelle auch die neuesten Wirtschaftsinformationen und andere marktbeeinflussende Meldungen. „In jedem Augenblick sind die Konditionen von Angebot und Nachfrage an den internationalen Finanzplätzen bekannt“, erläutert Streb.

Am Dollarmarkt bestimmen nicht nur Fakten aus Politik und Wirtschaft einen Trend. „Der Händler muß außerdem ein guter Psychologe sein, um Stimmungen richtig einzuschätzen“, betont Streb. So ist es auch am Freitag, den 2. Juni dieses Jahres: Weltweit warten die Devisenhändler auf die Bekanntgabe der neuesten Arbeitsmarktdaten der USA um 14.30 Uhr (MESZ) „Egal wie sie ausfallen, der Dollar wird sich bewegen“, versichert Streb.

Tatsächlich rutscht die US-Währung kurz nach Veröffentlichung der Zahlen in Sekundenschnelle um fast einen Pfennig nach unten. Der Grund: Aus der neuen Arbeitslosenstatistik werden Hinweise auf eine Konjunkturabschwächung und damit auf einen nachgebenden US -Zinstrend herausgelesen. Diesen Trend möglichst schon im Voraus zu ahnen, gehört zur hohen Kunst des Devisenhandels. Alle hatten bis 14.30 Uhr zurückhaltend gekauft und verkauft. Dann aber brach die Hölle los.

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