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Geheimniskrämerei um Atom-Kolloquium in NRW

Experten-Kolloquium über Sicherheit der Atomanlagen an Rhein und Ruhr wird wie Geheimtreffen vorbereitet / Minister Jochimsen streicht THTR-300 aus dem Programm / Gutachterstreit über „Tschernobyl-Syndrom“ des Hochtemperaturreaktors  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin(taz) - Um die bevorstehende Wiederinbetriebnahme des Hochtemperaturreaktors THTR-300 in Hamm-Uentrop nicht zu gefährden, versucht die Düsseldorfer SPD-Landesregierung offenbar, einen seit Monaten schwelenden Gutachterstreit über die Möglichkeit eines schweren Unfalls in dem Atommeiler unter der Decke zu halten. Ab kommenden Dienstag (20. Juni) wollen sich zahlreiche Reaktorexperten mit Beamten des Düsseldorfer Wirtschaftsministeriums zu einem mehrtägigen Kolloquium treffen, bei dem es um eine Auswertung des sogenannten EWI-Gutachtens über die Sicherheit der an Rhein und Ruhr betriebenen Atomanlagen gehen soll.

Ausgerechnet den wegen seiner zahlreichen technischen Mängel besonders umstrittenen THTR-300 strich der zuständige NRW-Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen jedoch kurzfristig aus der Liste der zu behandelnden Anlagen. Weder die Öffentlichkeit noch das Düsseldorfer Parlament sind bisher über das bevorstehende Expertentreffen unterrichtet worden.

Anläßlich der Vorstellung einer Zusammenfassung des insgesamt 46 Bände umfassenden Mammut-Gutachtens hatte Jochimsen im vergangenen Oktober angekündigt, die Auswertung solle „in Kürze“ im Rahmen eines „Sachverständigen -Kolloquiums mit zusätzlichen Experten zum Beispiel auch des Öko-Institutes“ fortgesetzt werden. Seither war von dem Expertentreffen in der Öffentlichkeit nicht mehr die Rede. Noch Ende vergangener Woche erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber der taz, an die Auswertung werde zwar „noch gedacht“, gegenwärtig habe man jedoch „zuviel anderes vor der Brust“. Tatsächlich steht der Termin für das Treffen der Gutachter und anderer Experten mit den Beamten der Genehmigungsbehörde nach Informationen der taz mindestens seit Anfang Mai fest.

Das Kolloquium war notwendig geworden, nachdem unter den zahlreichen, an dem Gutachten beteiligten Wissenschaftlern über wesentliche Aspekte ihrer Sicherheitsanalysen keine Einigkeit zu erzielen war. Für Frustrationen bei einigen der Gutachter hatte insbesondere die von der schweizerischen Firma „Elektrowatt Ingenieurunternehmung (EWI)“ erstellte und bisher einzig veröffentlichte Zusammenfassung der 46 Teilgutachten gesorgt. EWI, die selbst im Atomgeschäft tätig ist, war als „gesamtverantwortlicher Gutachter“ von Jochimsen beauftragt worden. In der Zusammenfassung aber waren der EWI nach Auffassung einiger beteiligter Mitgutachter erhebliche Mißinterpretationen und Fehlbewertungen ihrer Ergebnisse unterlaufen. Nach Informationen aus der Umgebung des Ministeriums betrifft dies insbesondere den THTR-300 in Hamm-Uentrop.

In dem von einer Arbeitsgruppe um den Münchner Physiker und Atomkraftkritiker Professor Jochen Benecke erarbeiteten Teilgutachten A 3.6 waren Rechnungen vorgelegt worden, nach denen unter bestimmten Bedingungen in Hamm-Uentrop „mit Tschernobyl vergleichbare Leistungsexkursionen“ durchaus möglich seien. EWI bestätigte in der veröffentlichten Zusammenfassung zwar die theoretischen Berechnungen der kritischen Gutachter, erklärte jedoch gleichzeitig die zugrundeliegenden Störfall-Szenarien für ausgeschlossen. Konkret geht es um die Frage, ob beim Anfahren des Reaktors große Mengen Kühlwasser unbemerkt in den Reaktorkern eindringen und dort die verheerenden Reaktivitätseffekte hervorrufen können. Auch der Physiker Michael Sailer vom Öko -Institut in Darmstadt hält den in den Benecke-Studien als „Tschernobyl-Syndrom“ des THTR bezeichneten Störfall-Verlauf nach wie vor für denkbar. Es bestehe „dringender Klärungsbedarf“, erklärte Sailer, der ebenfalls an dem Experten-Kolloquium teilnehmen soll.

In der Tat kann das Reaktorpersonal einen möglichen Wassereinbruch während der Anfahrphase des Atommeilers aufgrund desensibilisierter Wasserfühler nur schwer registrieren. Einen Ausweg aus dem von den Reaktorbauern offenbar bisher übersehenen Dilemma könnte unter Umständen der Einbau zusätzlicher Wasser-Meßfühler mit alternativer Funktionsweise leisten, deren Installation aber ohne weitere Anträge und langwierige Genehmigungsprozeduren nicht denkbar ist.

Offiziös heißt es in Düsseldorf, der THTR-300 sei wegen der momentanen politischen Unsicherheiten um den von Betreibern und öffentlicher Hand gemeinsam angestrebten mehrjährigen Auslaufbetrieb aus dem Programm des Experten-Kolloquiums herausgenommen worden. Man befürchtet offenbar, daß jede Drohung mit weiteren Nachrüstmaßnahmen die THTR -Betreibergesellschaft HKG zur für Bund und Land ausgesprochen teuren Konkursanmeldung veranlassen könnte. Die kritischen Wissenschaftler zahlen unterdessen für ihre Beteiligung an dem Sicherheitsgutachten einen hohen Preis: Mit ihrer Unterschrift unter die Gutachteraufträge werden sie über einen Paragraphen der Gewerbeordnung zu „absolutem Stillschweigen verdonnert“, wie es einer der Betroffenen formuliert. Im Öko-Institut Darmstadt will man lediglich bestätigen, daß das Experten-Kolloquium in der kommenden Woche stattfinden soll. „Die Betreiber warten nur darauf, daß wir reden, um uns vor die Tür setzen zu können“, heißt es.

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